Menschen und Gesellschaft Musik

Warum der ESC in Schweden so beliebt ist

ESC - Eurovision Song Contest

Nun steuert sie also auf ihren Höhepunkt zu – Schwedens fünfte Jahreszeit. Im Februar begann sie, am Samstag, dem 11. Mai 2024, wird sie mit einem fulminanten, perfekt durchdesignten, quietschbunten Feuerwerk enden. Dabei werden Plattitüden durch die Welt geschossen, alles wird „amazing“ und „wonderful“ sein. Dann, am Sonntag, werden das Siegerlied – stammt es nun von Baby Lasagna aus Kroation, Nemo aus der Schweiz oder doch von den Norwegern Marcus & Martinus, die für Schweden antreten – und wahrscheinlich auch Loreen und ein bisschen ABBA in den Radiosender rauf- und runtergespielt, ehe wieder Ruhe einkehrt. Aus Malmö werden die Massen wieder fortfahren. Die letzten Fähnchen werden geschwenkt, der Müll zusammengekehrt. Der ESC wird vorbei sein. Davor wartet aber eben jenes fulminante Feuerwerk, das Finale des ESC, das in diesem Jahr im südschwedischen Malmö stattfindet.

In ganz Europa wird sich alles um den Eurovision Song Contest drehen, in Schweden aber ganz besonders. Hier ist jedes Jahr so gut wie jeder im „Mello“- und ESC-Fieber. Aber warum eigentlich?

Ein entscheidender Unterschied zwischen Deutschland und Schweden zeigt sich beim Vorentscheid. In Deutschland schauen ihn manche an, einige bekommen hier und da ein bisschen was mit, die meisten erfahren irgendwann einmal, wer der Sieger ist und Deutschland beim ESC vertreten wird. Eine wirklich große Nachricht ist es nicht. 2,19 Millionen Zuschauer haben das Finale des deutschen Vorentscheids gesehen. Da schalten sogar beim schlechtesten Tatort mehr ein.

„Mello“ und ESC als Medienereignis in Schweden

Ganz anders in Schweden. Wenn Anfang Februar die ersten Vorentscheide beginnen, wenn das „Mello“, wie das „Melodifestivalen“ liebevoll, als wäre es ein guter Freund, genannt wird, startet, dann steht halb Schweden Kopf und die Schweden haben neben dem Wetter noch ein zweites Gesprächsthema. Das Finale Anfang März wurde von fast 3,5 Millionen Zuschauern gesehen, also deutlich mehr als in Deutschland, obwohl Deutschland achtmal so viel Einwohner hat. Nimmt man alle Sendungen des „Melodifestivalen“ zusammen, kommt man auf über 19 Millionen Zuschauer. Respekt!

Sechs Gründe, warum der ESC in Schweden so beliebt ist

Woran liegt das?

1. Die Schweden haben Erfolg.

Als Lena den ESC gewann, gab es auch in Deutschland einen großen Hype. Als man dann danach aber froh sein durfte, wenn noch zwei, drei andere Länder hinter Deutschland rankten, legte sich die Euphorie schlagartig wieder. Klar, schließlich ist irgendwie jeder gerne auf der Gewinner- oder zumindest nicht gerne auf der absoluten Verlierer-Seite. Und die Schweden gewinnen nun mal ziemlich oft den ESC. Bereits sieben Mal standen die schwedischen Vertreter auf dem Siegertreppchen ganz oben. Nur Irland (mit ebenso vielen Erst-, aber mehr Zweitplatzierungen) ist erfolgreicher. Loreen schaffte im letzten Jahr sogar das Kunststück, den ESC zum zweiten Mal zu gewinnen.

2. ABBA wurde dank des ESC zum schwedischen Exportschlager.

Der erste schwedische Sieg beim ESC ist nun exakt 50 Jahre her. 1974 präsentierte ein discobuntes Quartett namens ABBA sein Lied „Waterloo“. Der Song wurde nicht nur beim ESC ganz nach oben gevotet, für ABBA bedeutete der Sieg auch den internationalen Durchbruch. Neben IKEA und Astrid Lindgren verbindet man seitdem vor allem auch ABBA mit Schweden.

3. Populäre schwedische Künstler beim ESC.

In Schweden hat es Tradition, dass beliebte, bekannte Künstler das Land beim ESC vertreten. Da werden nicht irgendwelche C- oder D-Stars nach oben gespült, die davor nur kannte, wer eine obskur-intensive Leidenschaft für simple Popmusik hat. In Schweden sind es zumindest B-Stars, oft aber auch welche aus der ersten Riege. ABBA wurde schon genannt. Angetreten sind aber auch Monica Zetterlund, Tomas Ledin, Ted Gärdestad, Carola, Lena Philipsson, Loreen – Künstlerinnen und Künstler, die (fast) jeder in Schweden kennt.

4. Musik mit hohem Stellenwert in Schweden.

Musik hat in Schweden eine große Bedeutung. Woran das liegt, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Manche sagen, die langen, dunklen Winter führten dazu, dass – zumindest früher – viel zuhause musiziert wurde, wenn es draußen unwirtlich und kalt und finster war. Andere betonen eher die Bedeutung der Musikschulen in Schweden, die allen Kindern ein breites und gutes Angebot machen und so von klein auf die musikalische Bildung fördern.

5. Erfolgreiche Musik aus Schweden.

Wie viele Hits aus Schweden gingen bereits um den Globus! Da spreche ich nicht nur von ABBA, Roxette und Ace of Base. Sondern auch von Britney Spears und den Backstreet Boys und vielen anderen international sehr erfolgreichen Bands. Mehrere Songs dieser Bands wurden von der Stockholmer Produktionsfirma Cheiron geschrieben und produziert. Denniz Pop hieß die treibende Kraft hinter Cheiron. Dessen Ziehsohn Max Martin wurde noch erfolgreicher. Mit 54 Liedern, die er produziert hat, konnte er bereits in die TopTen der US-Charts einziehen. Da liegen ABBA weit zurück. Nicht einmal Elvis oder die Beatles schafften das.

6. Schwedisches Gefühl für die Melodie.

Dieser Erfolg kommt nicht von ungefähr. Kristian Wåhlberg von der schwedischen Produktionsfirma Murlyn Music sagte einmal: „Amerikaner und Engländer beginnen ein neues Lied, indem sie es singen. Schweden beginnen es, indem sie pfeifen. Die Melodie bildet den Ausgangspunkt.“ Die Schweden haben also ein Gespür für gute Melodien. Sie sind eingängig und oftmals schwingt eine gewisse Melancholie mit. Diese Melodien sind Grundlage für den internationalen Erfolg schwedischer Musik und damit auch beim ESC. Und weil Schweden dort oft ziemlich erfolgreich ist, fiebern viele Schweden dem Finale auch ganz besonders entgegen. So schließt sich der Kreis.

Ob Schweden auch in diesem Jahr gewinnt? Fraglich. Bei den Buchmachern landen Marcus & Martinus zumindest nicht ganz oben. Hier werden eher die Schweiz oder Kroatien als Favoriten gehandelt.

Norweger vertreten Schweden – das gab’s noch nie!

Marcus & Martinus gelang es aber, während des „Melodifestivalen“ für eine Menge Gesprächsstoff in Schweden zu sorgen. Mit dem Song „Unforgettable“ setzten sich die beiden jungen Norweger durch. Der Sieg kam nicht unerwartet. Der Song ist nett, eingängig, auch wenn er nichts einmalig Besonderes ist. Sowohl die Jury als auch das Publikum gaben den beiden die mit Abstand meisten Punkte. Aber es sind eben zwei Norweger, die nun Schweden beim Eurovision Song Contest vertreten. Das ist das erste Mal, dass zwei Nicht-Schweden für Schweden antreten. Laut einer Umfrage von Novus zeigten sich am Tag vor dem Finale des „Melodifestivalen“ am 9. März 24% der Befragten negativ eingestellt gegenüber der Tatsache, dass ihr Land von Norwegern vertreten werden soll.

Aber dies folgt einer gewissen Logik. Denn das Duo stand nach der Pandemie ohne Produktionsunternehmen da und fand damals in Schweden eine neue Heimat. Sie wurden hier produziert und sind damit musikalisch auch in Schweden fest verankert.

Mittlerweile hat sich diese Aufregung gelegt und ist ganz der Aufregung gewichen, die Schweden jedes Jahr kurz vor dem ESC packt. Die Fähnchen werden herausgeholt, die Songs werden gesummt und gepfiffen, Tipps werden abgegeben. Alles steuert auf das große, bunte, immer-etwas-drüber Finale am Samstag, 11. Mai, in Malmö zu.

Dann ist die fünfte Jahreszeit in Schweden zu Ende. Dann ist wieder Ruhe.

Slottsparken in Malmö
Ruhe im Slottsparken in Malmö

Beitragsbild: Corinne Cumming / EBU – https://eurovision.tv/mediacentre


ABBA – Die ganze Geschichte in der ARD

Passend zum 50. Jahrestag des Siegs von ABBA beim ESC erscheint beim WDR die Doku „ABBA – Die ganze Geschichte“. Hier wird der allmähliche Aufstieg der Band, die anfangs in Schweden gar nicht sonderlich beliebt war – zu kommerziell, zu unpolitisch – gezeigt, die Hochphase und auch das Ende der Band, die bis heute die Menschen auf die Tanzfläche holt.

Eine spannende, gut gemachte und differenzierte Doku!

https://1.ard.de/ABBA_Die_ganze_Geschichte

Schreibe einen Kommentar

Cookie Consent Banner von Real Cookie Banner