Noch ein Roman von Lena Andersson über Liebe.
Noch einer über Abhängigkeit und den Schmerz, wenn der eine nicht so sehr liebt wie der andere.
Und erneut gelingt der Autorin und Gewinnerin des renommierten August-Preises mit „Utan personligt ansvar“ ein Coup – wenngleich sich gewisse Elemente aus dem Vorgängerroman wiederholen.
„Utan personligt ansvar“ (wörtlich übersetzt: „Ohne persönliche Verantwortung“; deutscher Titel: „Unvollkommene Verbindlichkeiten“*) ist die freie Fortsetzung von „Egenmäktigt förfarande“* rund um die Essayistin und Schriftstellerin Ester Nilsson. Im ersten Roman verliebte sie sich in den Künstler Hugo Rask und begab sich dabei in ein feines, aber brutales Netz aus Abhängigkeiten, Begehrlichkeiten und Verletzungen.
„Utan personligt ansvar“ – Olof Sten fühlt keine Verantwortung für sein Tun
Nun verliebt sie sich erneut. Wieder ist es ein Künstler, dieses Mal der Schauspieler Olof Sten. Die beiden lernen sich kennen, gehen immer öfter zusammen aus, küssen sich. Und das, obwohl Olof verheiratet ist. Auch lässt er keine Zweifel daran, dass er seine Frau Ebba nicht verlassen wird. Doch zugleich intensiviert er seine Beziehung zu Ester (wobei er nie von Beziehung sprechen würde), sie schlafen miteinander, führen innige und tiefe Gespräche. Die Trennung von seiner Frau muss da doch nur noch eine Frage der Zeit sein.
Ist sie aber nicht.
Denn Olof denkt nicht daran, seine Frau zu verlassen. Für ihn sind sie – Olof, Ester und Ebba – Zahnräder, die auch dann gut ineinandergreifen, wenn sie zu dritt sind. Mechanisch gesehen funktioniert dies problemlos. Aber funktioniert so auch Liebe? Für Ester nicht. Sie, die rationale Aufklärerin, die die Dinge durchleuchtet und analysiert, ist hier die Romantikerin, wohingegen Olof die Dreiecksbeziehung eher von der pragmatischen Seite zu betrachten scheint. Und immer, wenn Ester sich entschließt, sich von ihm zurückzuziehen, wird er mild und anschmiegsam und lockend, bis sie zurückkehrt. Will sie zu viel, wird er brüsk, abweisend und verletzend.
Beziehungen wie ein Räderwerk: mechanisch funktionieren sie. Aber funktioniert so auch Liebe?
Wie die Zahnräder dreht sich Esters und Olofs Beziehung im Kreis. Wieder und wieder die gleichen Auseinandersetzungen, die gleichen Reaktionen, die gleichen Anziehungen. Bis Ester alles auf eine Karte setzt …
Die sich wiederholenden Drehungen der Beziehungen und die wiederkehrenden Muster können zunächst etwas redundant beim Leser wirken. So erging es zumindest mir. Aber so sind die Muster der Beziehung von Ester und Olof eben – redundant. Sie wiederholen sich, sie kehren immer wieder an ihren Ausgangspunkt zurück, bis sie sich irgendwann zu Tode drehen. Etwas, was zunächst während des Lesens recht sperrig und ermüdend wirkt, erweist sich so letztendlich als raffinierter dramaturgischer Kniff. Intelligent, wie es die Geschichte und vor allem die Sprache Lena Anderssons ebenfalls sind.
Die Autorin erzählt in durchaus einfacher Sprache, oft lakonisch, teilweise regelrecht beiläufig. Doch dabei macht sie so viele bemerkenswerte Entdeckungen, die sie sprachlich schnörkellos und klar auf den Punkt bringt, dass es menschliches Verhalten (hier vor allem: männliches Verhalten) in Beziehungen durchleuchtet und entlarvt, bis es nackt und armselig vor dem Betrachter steht. Dies gelingt ihr so geradlinig, intelligent und treffsicher, dass man mehrfach schmunzelnd, manchmal erschrocken innehält.
„Lena Anderssons Romane werden Klassiker.“
Nils Schwartz, Redakteur bei der schwedischen Zeitung „Expressen“ schreibt, dass Lena Anderssons Romane Klassiker werden. Dem kann ich nur zustimmen. Dass „Utan personligt ansvar“ aber noch lesenswerter sei als der Vorgänger „Egenmäktigt förfarande“, wie es die Kulturjournalisitin Agneta Pleijel von „Dagens Nyheter“ meint, möchte ich bestreiten. Denn gewisse Beobachtungen und Handlungen, die im ersten Roman bereits gemacht wurden, beginnen sich nun zu wiederholen. Manche Muster ähneln sich. Und so bleibt das faszinierte Staunen, das mich beim Lesen von „Egenmäktigt förfarande“ erfasst hat, aus. Was aber nicht bedeutet, dass „Utan personligt ansvar“ nicht faszinierend oder nicht lesenswert wäre. Im Gegenteil: Lena Anderssons Romane sind lesenswert. Alle. Denn sie werden Klassiker werden.
Utan personligt ansvar
Verlag: Natur & Kultur
Taschenbuch
SEK 53:-
Unvollkommene Verbindlichkeiten*
Verlag: Luchterhand
Gebundene Ausgabe
aus dem Schwedischen übersetzt von Gabriele Haefs
€ 18,- [D]
weitere Rezensionen auf elchkuss.de:
- Lena Andersson: Egenmäktigt förfarande – en roman om kärlek (Widerrechtliche Inbesitznahme)
- Vilhelm Moberg: Utvandrarna (Die Auswanderer)
- Håkan Nesser: Elva dagar i Berlin (Elf Tage in Berlin)
- Claus Aktoprak: SchärenSegeln
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