Essen und Trinken

Trinkgeld in Schweden – Wann, wie viel oder überhaupt nicht?

Café Trinkgeld

„Vor langer Zeit kam jemand auf die Idee, dass es langweilig wäre, wenn es im Restaurant einfach nur nett ist. Sollte man nicht ein kleines Moment der Unsicherheit am Ende der Mahlzeit einführen, das eine nicht sonderlich intensive, aber dennoch beständig zunehmende Unruhe verursacht?“ Das ist natürlich historisch nicht korrekt, aber der Gedanke, den der schwedische Podcaster und Kolumnist Andrev Walden neulich in seinem Pod über das Geben von Trinkgeld formulierte, hat was. Jeder kennt es vermutlich, dieses Unsicherheitsgefühl: Wie viel Trinkgeld soll ich geben? Muss ich geben? Muss ich überhaupt? Was wirkt geizig, was überheblich? Trinkgeld zu geben, ist keine einfache Sache. Wie sieht es also aus mit dricks, mit dem Trinkgeld in Schweden?

Dricksa, das hat nichts mit „tricksen“ zu tun, auch wenn stets eine gewisse Magie im Spiel ist, wenn man Trinkgeld gibt. Trinkgeld kann Wertschätzung bedeuten, der Service in einem Restaurant war besonders gut, das Essen besonders lecker. Das kann mit entsprechendem Trinkgeld ausgedrückt werden. Dricksa ist aber nur ein Verb, das „Trinkgeld geben“ meint. Es leitet sich vom deutschen Wort „Trinkgeld“ ab.

Trinkgeld ist Ausdruck von Ausbeutung – oder von Wertschätzung?

Trinkgeld zu geben, wurde in den USA Ende des 19. Jahrhunderts zum Phänomen. Nach dem Ende der Sklaverei gab es unzählige Schwarze, die eine schlechte Ausbildung, keine Arbeit und große Verzweiflung hatten. Sie in Bars und Restaurants als Kellner einzustellen und sie dabei so schlecht zu entlohnen, dass man davon nicht leben konnte, war eine rücksichtslos gewiefte Idee vieler Restaurantbetreiber. Das Trinkgeld wurde dadurch mehr oder weniger obligatorisch. Der Kunde musste übernehmen, was der Arbeitgeber nicht leisten wollte – die Existenzsicherung des Personals.

Doch wem gibt man mehr Trinkgeld? Den Hübschen oder den Pickeligen, Lispelnden? Bestraft man die alleinerziehende Mutter, deren zwei Kinder ihr die Nacht zur Hölle gemacht haben, weil sie kein reizendes Lächeln aufsetzen kann, sondern stattdessen leicht reizbar ist?

Trinkgeld ist, betrachtet man den Ursprung, also ein Unding, Resultat krasser gesellschaftlicher Ungleichheit.

Kein Trinkgeld in Schweden erwartet – wenn da nicht …

In Schweden, dem Land der Gleichheit und Gleichberechtigung, dem Land des Wohlfahrtsstaats (zumindest gab es den einmal), wäre ein solches System von Niedriglöhnen, die Trinkgelder obligatorisch machen, weil die Angestellten sonst schlichtweg nicht auskommen würden, undenkbar. Vor der Etablierung des Wohlfahrtsstaats allerdings waren auch Bedienungen in Schweden so schlecht bezahlt, dass sie dricks brauchten, um überleben zu können.

Die Sozialdemokraten, die die letzten zwei Drittel des 20. Jahrhunderts fast durchweg regierten, machten 1938 Schluss damit. Eine Servicegebühr wurde eingeführt. 15 Prozent, die Teil der Rechnung waren. Die Preise in den Kneipen, Bars und Restaurants stiegen – aber eben auch die Löhne. Wer diese Servicegebühr bezahlte, von dem wurde kein Trinkgeld mehr erwartet. Oder anders ausgedrückt: Das Trinkgeld war bereits in der Rechnung enthalten.

Hartnäckig hält sich das Gerücht, das dem noch immer so sei in Schweden. Aber nur weil es oft genug wiederholt wird, wird es nicht wahrer, sondern bleibt: ein Gerücht.

1993 wurde die Servicegebühr abgeschafft, denn die Gewerkschaften setzten einen Tarifvertrag für Bedienpersonal durch. Das Personal in schwedischen Restaurants, Bars, Taxiunternehmen und auch bei Lieferdiensten (uber mal ausgenommen) werden also nach Tarif bezahlt. Klar, meist sind das keine Spitzenverdienste, aber eben doch so gut, dass man einigermaßen davon leben kann.

Das bedeutet aber auch, dass seitdem das Trinkgeld nicht mehr bereits im Preis enthalten ist (auch wenn die üppigen Rechnungen in manchen Restaurants oftmals genau diesen Eindruck erwecken.  

Was bedeutet das nun fürs Trinkgeldgeben?

Nun, irgendwie alles. Wenn man mit dem Service oder dem Essen in ganz besonderem Maße zufrieden ist, kann man selbstverständlich gerne Trinkgeld geben. Zehn Prozent sind üblich, oder man rundet einfach auf den nächsten Hunderter (in schwedischen Kronen natürlich) auf. Aus 620 Kronen werden dann 700 Kronen. Knausrig wäre es hingegen, von 690 auf 700 aufzurunden. Aber es wird nicht erwartet. Wer kein Trinkgeld gibt, wird nicht schief angeschaut.

So weit, so einfach.

… die Trinkgeldmenüs auf den Kartenlesegeräten wären.

Wäre da nicht die neueste Entwicklung mit den Kartenlesegeräten mit Trinkgeldmenüs. Da darf man dann wählen zwischen 5, 10 oder gar 20 Prozent Trinkgeld. Magisch ist daran gar nix mehr. Aber gut, wenn der Service am Tisch toll war, drückt man eben auf die zehn Prozent.

Café Älskade Traditioner in Stockholm

Bestellen an der Theke ist in Schweden üblich. Hier im Café Älskade Traditioner in Stockholm.

Nur was tun, wenn man in der Kaffeebar steht, in der man selbst zur Theke geht, selbst den Kaffee und den Kuchen an den Tisch trägt, selbst das dreckige Geschirr zum Geschirrrückgabewagen? Diese Form des Cafés ist in Schweden mehr Regelfall denn Ausnahme. Früher gab man da normalerweise kein Trinkgeld. Auch nachvollziehbar, weil es eben auch keinen Service gibt. Man kauft ein Produkt und fertig. Schließlich gibt man im Supermarkt ja auch kein Trinkgeld. Oder im Spielwarengeschäft. Oder an der Tankstelle.

Jetzt aber leuchtet auffordernd auf dem Kartenlesegerät der Bildschirm mit dem Menü, wie viel Trinkgeld es denn sein darf. Fünf, zehn, zwanzig Prozent? Obwohl es in Schweden eigentlich vollkommen in Ordnung ist, kein Trinkgeld zu geben, schleicht sich jetzt ein unangenehmes Gefühl ein, wenn man sich am Trinkgeldmenü vorbeidrückt. Oder sollte man doch etwas geben? Schließlich explodieren die Mieten in den schwedischen Großstädten. Kann sich das Servicepersonal trotz Tariflohn noch die Miete leisten? Sollte man es nicht unterstützen? Aber ist das nicht die Aufgabe des Arbeitgebers, entsprechende Löhne zu bezahlen?

Und da ist es wieder, dieses Gefühl der Unsicherheit. Es bleibt kompliziert, das dricksande.

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