Mit 39 Jahren, wenn das erste Kind im Anmarsch ist, dann können spießige Gedanken plötzlich ziemlich attraktiv werden. Ist es dann nicht das Beste, an den Ort der Kindheit zurückzuziehen, wo man einen Garten hat, in dem das Kind spielen kann, und man abends ein Feierabendbier zusammen mit Freunden trinkt? Das glaubt zumindest Alex, einer der Protagonisten der schwedischen Erfolgs-Comedyserie „Solsidan“.
„Du hast ein Nordnordost-Grundstück“, sagt Fredde, der alte Jugendfreund. „Da gibt es keine Abendsonne.“ Und schon geht die Misere los. Ein Baum muss gefällt werden, der natürlich die teure Segelyacht des Nachbarn zerkratzt. Kaum eingezogen, beginnt der Spaß.
„Solsidan“ hat mittlerweile schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Die erste Staffel wurde 2010 im schwedischen Fernsehen TV4 ausgestrahlt. Weitere Staffeln folgten. In Schweden wurde die Comedyserie zu einem Megaerfolg. Im Winter 2021 schaffte es die erste Staffel endlich auch in die Mediathek der ARD – neben der deutschen Synchronisierung gibt es sogar die schwedische Originalfassung zu sehen.
In Solsidan ist das eigene Boot Standard.
Solsidan (die Sonnenseite) ist ein luxuriöser Stadtteil des luxuriösen Saltsjöbaden, das einige Kilometer südöstlich vom – durchaus ja auch recht luxuriösen – Stockholm am Ufer der Ostsee liegt. Die schwedische Upperclass lebt hier. Das eigene Boot ist Standard, Designerlampen ebenso – und eigentlich auch Sonne im Garten.
Der Zahnarzt Alex und seine hochschwangere Freundin Anna, eine Schauspielerin, die zusammen ins Haus von Alex‘ Mutter ziehen, passen da nicht so recht rein. Zumindest fühlen sie sich ständig fehl am Platz. Nicht zuletzt wegen Fredde und dessen Frau Mickan, die von der Erziehung ihres einzigen Kindes höchst überfordert ist und dies nicht mit Shopping, Schönheitskuren und Fitnessprogrammen unter einen Hut bekommt.
Fredde ist reicher als Alex, sein Haus ist schöner, größer, heller. Das lässt er seinen Kumpel immer wieder gerne spüren. Es geht viel ums Bessersein, ums Übertrumpfen – und zugleich darum, so zu tun, als wolle man genau das nicht. Schließlich gibt es in Schweden das ungeschriebene Jante-Gesetz, das verlangt, dass du dich nie besser fühlen sollst als andere oder dich über sie erheben sollst.
Parodie auf die schwedische Mittelschicht, das Jantelagen und den Durchschnittsschweden
Die gehobene Mittelschicht Schwedens, die in Orten wie Saltsjöbaden überrepräsentiert ist, wird so in skurrilen Szenen vorgeführt. Denn natürlich will hier jeder besser sein als der andere. Auch Mickan bekommt das zu spüren, denn die Kindergeburtstagspartys, die ihre Freundinnen arrangieren, scheinen immer etwas besser, größer, bombastischer zu sein. Da muss sie natürlich mithalten. Ob das dem Kind passt oder nicht.
Alex ist hingegen grundsolide. Und ziemlich konfliktscheu. Damit repräsentiert er wohl den perfekten Durchschnittsschweden. Anna mag das jedoch gar nicht, denn Alex bringt es nicht übers Herz, seiner Mutter zu sagen, dass sie nicht ständig in ihrem Leben herumpfuschen soll, oder dem geizigen Nachbarn Ove, dass er verdammt nochmal den Hochdruckreiniger sofort wieder zurückbringen soll.
Konfliktscheu wie Alex ist, sagt er aber niemandem seine Meinung. Stattdessen wird hintenrum gelästert. Oder Alex erlebt herrlich skurrile Tagträume, in denen er anderen mal so richtig die Meinung geigt. Einmal sagt er Ove dann doch deutlich die Meinung. Das entsetzt alle – denn das macht man doch nicht als Durchschnittsschwede! – und Alex rudert schnell zurück.
„Solsidan“ ist Klischee – das ist manchmal herrlich, manchmal etwas zu viel
Die Figuren in „Solsidan“ sind völlig überzeichnet. Fleisch gewordene Klischees. Manchmal kann das zu viel sein und die Gags dadurch etwas abgedroschen. Andererseits haben alle Figuren auch ihre charmanten Seiten (auch wenn sie diese oft gut verstecken). Zum Beispiel Fredde, der zuhause rein gar nichts mitzubestimmen hat und daher verzweifelt um sein letztes verbliebenes Recht zu grillen kämpft – selbst wenn das bedeutet, dass er nachts im Morgenmantel grillen muss.
Und meistens sind die Witze – trotz aller Klischees und manchmal gerade wegen ihnen – herrlich komisch. Es gibt wunderbare Situationskomik, die eingestreuten Tag- und Wunschträume treiben so manche Lachträne in die Augenwinkel, andere Momente sind aufgrund der Fremdscham, die man für die Figuren empfindet, witzig (was vor allem auf Ove zutrifft). Und schließlich gibt es noch die Gags für Schwedenkenner, etwa wenn Alex vor einem Supermarktregal mit einer riesigen Yoghurt-Auswahl steht, aber den von der Freundin gewünschten Geschmack nicht findet.
Insgesamt eine herrliche Parodie auf die gehobene schwedische Mittelschicht – mit kleinen Minuspunkten, wenn die Klischees zu übermächtig werden.
Bis Mitte April 2021 läuft „Solsidan“ noch in der ARD-Mediathek. Bist du zu spät dran? Dann besorg dir die erste Staffel auf DVD:
*Die ersten fünf Staffeln wurden in den Jahren 2010 bis 2014 ausgestrahlt. 2019 versammelten sich die Schauspielerinnen und Schauspieler erneut vor der Kamera – jetzt ein wenig an den Schläfen grauer und an der Stirn etwas kahler. Staffel 6 wurde 2019 gesendet. Staffel 7 soll im Lauf des Jahres 2021 folgen. Erneut zwei Jahre später kommt dann die achte Staffel ins Fernsehen. Fans der Serie können sich also freuen!
Hier ein kleiner Vorgeschmack: www.tv4.se/solsidan
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