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Skål – Trinken die Schweden wirklich so viel Alkohol?

Die Schweden und der Alkohol

1854 feierte die Bewegung dann einen ersten großen Erfolg. Der Reichstag verbot die husbehovsbränning. Schnaps durfte fortan nur noch in staatlichen Brennereien produziert werden. Und das zeigte Wirkung. Schon 1860 war der Schnapskonsum um satte zwei Drittel zurückgegangen.

War Schweden nun auf dem Weg zu einem alkoholfeindlichen Land? Nein, gewiss nicht. Den Kampf gegen den Schnaps hatten die Aktivisten der nykterhetsrörselse zwar zum Teil gewonnen, aber schon kam der nächste Gegner um die Ecke: Bier. Und Schnaps wurde natürlich immer noch getrunken, wenn auch nicht mehr in ganz so rauen Mengen.

Totales Alkoholverbot in Schweden?

Die Abstinenzler kämpften weiterhin für die Reduzierung des Alkohols beziehungsweise für ein totales Verbot, andere fürchteten genau dieses und die Finanzpolitiker waren gespalten, da sie gerne die Einnahmen aus den Alkoholsteuern behalten wollten.

1922 kam es dann zum großen Höhepunkt der Debatte. Nach dem Vorbild der USA, wo seit 1920 die Prohibition Alkohol kriminalisierte, sollte nun auch in Schweden Alkohol komplett verboten werden. Dazu war eine Volksabstimmung vonnöten. Es gab hitzige Debatten für und wider. Die Befürworter mobilisierten ebenso massiv wie die Gegner eines Totalverbots. Selbst die Krebse wurden für den Wahlkampf instrumentalisiert. „Kräftor kräva dessa drycker“. Die Krebse erfordern diese Getränke, gemeint waren die Schnäpse. Ohne Schnaps keine ordentliche kräftskiva. Vielleicht überzeugte das noch ein paar Wähler, die sich letztlich sehr knapp gegen ein Totalverbot entschieden. 50,8% sagten Nej, aber immerhin 49% forderten ein komplettes Verbot. Besonders viele Frauen wünschten sich, dass der elende Alkohol verschwände. Kein Wunder, wenn sich der Mann gleich nach Auszahlung des Lohns die Birne wegbeamt und dann auch noch gewalttätig wird. Ein Schicksal, das nicht nur vereinzelt in Schweden vorkam.

Plakat zur Volksabstimmung über Alkoholverbot in Schweden 1922
1922 wurde im Vorfeld der Volksabstimmung mit harten Bandagen gekämpft – und mit klarer Bildsprache; ein Plakat aus dem Jahr 1922, Public domain

Alkoholkonsum streng kontrolliert

Diese denkbar knappe Entscheidung konnte von der Politik nicht einfach übergangen werden. Zwar war ein komplettes Verbot von Schnaps, Wein und Bier nun vom Tisch, aber man wollte der nykterhetsrörelse entgegenkommen. Starkbier durfte nicht mehr in Schweden gebraut werden und ein System, das sich während des Ersten Weltkriegs etabliert hatte, wurde fortgeführt: das Motboksystemet oder auch Brattsystemet.

Hinter dem Brattsystemet stand ein Mann namens Ivan Bratt, seines Zeichens Arzt und Politiker in Stockholm. Schon 1913 war er dafür verantwortlich, sein System in der Hauptstadt einzuführen. Es sollte dann die schwedische Alkoholpolitik bis 1955 prägen.

Was wollte Bratt? Kurz gesagt: die Kontrolle über das Alkoholgebaren der Schweden. Dazu braucht es ein staatliches Monopol des Alkoholhandels und -verkaufs. Dies ist die Geburtsstunde der Systembolagen, staatlicher Alkoholgeschäfte, die es in reformierter Form bis heute gibt. Aber das war noch nicht alles. Jeder, der Alkohol kaufen wollte, benötigte dazu eine Art Stempelheft, das motbok. Jeder Einkauf wurde strengstens eingetragen und somit überwacht. Pro Monat durfte eine Person ein, zwei, später auch drei Liter Hochprozentigen kaufen. Wie viel genau, das hing vom sozialen Status ab.

Das Motbok – ungerecht und frauenfeindlich

Wer ein motbok haben wollte, musste sich darum bewerben – und sich durchleuchten lassen: War man verheiratet? Wie und wo lebte man? Wie viele verdiente man? Junge, unverheiratete Männer hatten schlechte Chancen, Arbeitslose sowieso. Auch verheiratete Frauen erhielten eigentlich nie ein motbok, schließlich könnten sie ja bei ihrem Mann mittrinken.

Klingt sozial ziemlich ungerecht und frauenfeindlich? Stimmt, ist so. Und wenn du dich jemals darüber wunderst, dass der schwedische Staat heute teilweise recht intensiv in die Persönlichkeitsrechte hineinwirkt, dann tröste dich, dass es früher viel schlimmer war.

Wer heiratete oder Geburtstag feierte und dafür mehr Alkohol brauchte, musste dies eigens beantragen. Wer hingegen Starkbier wollte, der brauchte dafür ein Rezept. Starkbier gab’s nur in der Apotheke.

Frau blättert im motbok-Register
Ein Frau blättert im Motbok-Register, 1955, public domain

Systembolaget entsteht

1955 wurde das motbok abgeschafft. Noch etwa zwanzig Jahre länger gab es die Nykterhetsnämnderna, die, ja, wie soll man das übersetzen, Abstinenzämter. Die gab es tatsächlich. Da man den eigenen Bürgern trotz motbok nicht so recht traute, dass sie mit Alkohol umgehen konnten, überwachte man sie. Trank jemand zu viel? War jemand regelmäßig betrunken? Dann bitte die Person beim Abstinenzamt melden! Das Amt leitete dann Maßnahmen ein, zum Beispiel Heimbesuche, Verhöre oder sogar Zwangseinweisungen.

Auch Systembolaget führte in seinem Zentralregister streng Buch über seine Kunden und deren Alkoholgewohnheiten. Die Polizei kontaktierte dieses Register gerne und oft, wenn sie Informationen über jemanden haben wollte.

Und das alles unter dem wohlklingenden Mantel der Volksfürsorge.

Als 1955 das Brattsystemet mit dem motbok abgeschafft wurde, gab es Jubelszenen auf den Straßen. Menschen zerrissen ihre Bücher oder warfen sie ins Wasser. Es war dann doch etwas zu viel der Kontrolle.

Wer darf welchen Alkohol in Schweden kaufen?

1955 wurde auch Systembolaget gegründet, wie es heute noch in Schweden existiert, indem die zuvor lokalen Geschäfte, die Systemaktiebolaget hießen, zusammengeführt wurden. Jeder durfte dort Alkohol einkaufen, allerdings musste man anfangs 21 Jahre alt und nüchtern sein. Nüchtern muss man noch immer sein, aber die Altersgrenze wurde später auf 20 Jahre gesenkt.

Schnaps, Wein, Sekt und Bier über 3,5% können nur hier gekauft werden – oder sie werden aus dem Ausland importiert. Nur das lätt- und das folköl mit 2,8 respektive 3,5% kann im Supermarkt gekauft werden.

Kaum war das motbok weg, schoss der Alkoholkonsum in die Höhe. Aber jetzt reagierte der Staat nicht mehr mit einem erneuten Verbot, sondern mit Steuererhöhungen. Da hat der Staat schließlich mehr davon.

Alkohol kaufen mit Apothekenfeeling

Einkaufen im Systembolaget muss in den Anfangsjahren kein tolles Erlebnis gewesen sein. Oder anders: Es musste ein sehr spezielles Erlebnis sein. Denn die Läden erinnerten an Apotheken mit Schaltern, an denen man bestellen musste. Erst 1991 durften sich die Schweden ihren Alkohol selbst aus den Regalen nehmen. Damals hatten die Alkoholgeschäfte nur Montag bis Freitag geöffnet, seit 2000 dann auch samstags, zumindest bis 13 oder 15 Uhr. Wer danach oder am Sonntag an Alkohol ranmöchte, der muss auf Leichtbier aus dem Supermarkt umsteigen.

Alkohol in Schweden zu kaufen, bedeutet also: Ab ins Systemet, wie die Schweden oft zum Systembolaget sagen, mindestens 20 Jahre alt und einen Ausweis dabei haben, wenn man noch jung aussieht. Das alles muss werktags vor 18 Uhr oder samstags vor 15 Uhr geschehen.

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Ist Alkohol in Schweden so teuer?

Muss man auch viel Geld dabei haben, weil Alkohol in Schweden so teuer ist? Jein.

Ja, Alkohol in Schweden ist teuer, was an den Steuern auf alkoholische Getränke liegt. Da die Steuer mit dem Alkoholgehalt ansteigt, sind die Preisunterschiede beispielsweise zu Deutschland vor allem bei Hochprozentigem groß. So kostet eine Flasche schwedischer Absolut Vodka in Schweden doppelt so viel wie in Deutschland.

Absolut Vodka
Schwedischer Absolut Vodka, in Schweden doppelt so teuer wie in Deutschland

Jedoch sind die Preisunterschiede beim Bier gar nicht so heftig. Bier im Systembolaget zu kaufen, ist also kein ruinöses Geschäft. Und das System hat sogar einen großen Vorteil. Denn das staatliche Geschäft kuratiert quasi verschiedene Bier- und Weinsorten, wählt also bestimmte Produkte aus, die verkauft werden. Dadurch sind immer wieder ganz neue, bisher vielleicht unbekannte Biersorten im Angebot und die Weine sind meistens gut.    

Teuer wird es mit dem Alkohol in Schweden dann, wenn man ihn im Restaurant, im Club oder der Kneipe trinkt. Dort kostet das Bier schon mal um die 8 Euro (aber es geht auch billiger).

Zwischen Mäßigung und Absturz

Und teuer wird Alkohol in Schweden, wenn man sich nicht an die Regeln hält. Alkohol auf öffentlichen Plätzen zu trinken, ist fast überall untersagt und wird mit hohen Strafen belegt. Mit Alkohol im Blut zu fahren, ist ebenfalls keine gute Idee. Die Grenze liegt bei 0,2 Promille; wer nur wenig mehr hat, verliert bei einer Kontrolle den Führerschein.

Die Regeln sind also nach wie vor streng, der Staat versucht nach wie vor zu kontrollieren.

Aber nach wie vor versuchen die Schweden, sich dem zu entziehen. Importe aus anderen Ländern, vor allem aus Deutschland, Polen und dem Baltikum, sind beliebt. Dann wird dann kurz mal über die Grenze gefahren, das Auto bis oben hin voll mit Bierdosen und Wein im Tetrapack geladen, um sofort wieder zurückzufahren. Auf Partys schießen sich noch immer viele Schweden ab, das gemeinsame Schnapstrinken auf Feiern ist nach wie vor üblich.

Trotz Regulierungen und gewisser sozialer Ächtung sprechen die Schweden dem Alkohol also noch immer zu. Man tar sig en nubbe, en fylla, en sup, ett glas oder en magborstare. Redewendungen zum Trinken haben sie viele.

Aber die Gewohnheiten ändern sich dennoch: Viele Schwedinnen und Schweden leben sehr gesundheitsbewusst und nehmen daher vom Alkohol Abstand. Schnaps wird schon lang nicht mehr so viel getrunken wie noch vor 100 oder gar vor 200 Jahren. Bier war lange Zeit das alkoholische Lieblingsgetränk, das inzwischen aber vom Wein abgelöst worden ist. Und davon trinkt man auch gerne nur ein Glas am Abend. Ganz gepflegt, ganz kontrolliert, ganz unschwedisch und – wenn man die Geschichte der Abstinenzbewegung betrachtet – zugleich ganz typisch schwedisch.

Beitragsbild: Caroline Romare / imagebank.sweden.se

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