Hoher Besuch im hohen Norden: Anfang Januar 2023 reisen die schwedische Wirtschaftsministerin Ebba Busch und sogar EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Kiruna. Eingemummt in dicke Jacken lassen sie sich von Jan Moström zeigen, was hier bald aus der Erde geholt werden kann: Moström ist Leiter der Bergbaufirma LKAB, welche die riesigen Gruben in Kiruna betreibt. Jetzt wurden seltene Erden gefunden. Bis zu einer Million Tonnen können unter Kiruna liegen, davon geht Jan Moström aus. Das wird in Europa gefeiert, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Wie es prinzipiell mit dem Bergbau in Schweden nicht immer einfach und konfliktfrei ist.
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Seltene Erden sind für die Elektrotechnik enorm wichtig, zum Beispiel für die Akkus von Elektroautos, Smartphones und viele andere Produkte, auf die wir nicht verzichten wollen und die für die „grüne Wende“ enorm wichtig sind. Das Problem: Bisher ist Europa in diesem Bereich komplett abhängig von China.
Wenn aber seltene Erden in Europa abgebaut und gewonnen werden können, dann macht man sich wieder ein Stück weit weniger abhängig von China. Daher schlug die Meldung vom Fund der seltenen Erden in Kiruna auch so hohe Wellen. Daher der hohe Besuch.
Aber so einfach ist es nicht, diese seltenen Erden zu heben. Dazu später mehr.
Große Bedeutung des Bergbaus für Schweden
Bergbau – sowohl Tagebau als auch vor allem Untertage – ist seit vielen hundert Jahren enorm wichtig für Schweden. Man kann sogar sagen, dass er mitverantwortlich war für den Aufstieg Schwedens zur europäischen Großmacht in der Frühen Neuzeit. Damals war aber Nordschweden nicht oder nur zum Teil erschlossen. Südlichere Gegenden waren entscheidender für den Bergbau. Heute dominiert der Norden aber total.
Quellen, die den Bergbau belegen, gehen bis ins 13. Jahrhundert zurück. Wir dürfen aber annehmen, dass schon viel früher Eisenerze, Silber und Kupfer aus dem Boden geholt wurde. In Falun beispielsweise geht man davon aus, dass schon um das Jahr 1000 Kupfer abgebaut wurde.
Die Kupferbergbaustadt Falun liegt am nördlichen Rand jener Region, die lange Zeit sinnbildlich für den Bergbau stand: Bergslagen. Sie liegt in Mittelschweden nördlich von Örebro und südlich des Siljansees und beherbergt Orte wie Lindesberg, Sala, Falun, Nora, Filipstad und andere.
Bergslagen – der Name der Region steht für den Bergbau
Im Namen der Region, Bergslagen, steckt schon sehr viel, was den Bergbau und diese Gegend so besonders machten. Denn ein Bergslag war ein Zusammenschluss von Bergleuten, die Bergbauprivilegien hatten und daher Bergbau betreiben durften. Erst später wurde daraus die geografische Region Bergslagen, in der eben mehrere Bergslag ihrer Tätigkeit nachgingen.
Insgesamt gab es 19 Bergslag. Siebzehn davon bauten Eisenerz ab, eines Silber (in Sala) und eines Kupfer (in Falun).
Neben diesen Kooperativen gründeten aber auch private Personen, normalerweise sehr reiche, Gruben. Diese Bergbaupatrone leiteten dann ihr Bergwerk selbst, sie stellten ein und entließen. Im Lauf der Geschichte verdrängte diese Form die Bergslag-Kooperative.
Mit dem „Bergsfrid“ in die Freiheit
Zwei Dinge waren notwendig, wollte man ein Bergwerk betreiben – neben dem Grund und Boden und den entsprechenden Schürfrechten natürlich: Wasser, sehr viel Wasser, und Arbeitskräfte. Aber das mit den Arbeitskräften war nicht immer so einfach. Die Arbeit unter Tage war gefährlich und anstrengend und die Löhne auch nicht so hoch, dass man dafür all die Anstrengung und Gefahr gerne auf sich nahm.
Der „Bergfriede“ (bergsfriden) half, neue Arbeitskräfte zu gewinnen. Damit meint man die Vereinbarung, die ein Bergslag oder auch ein Bergbaupatron mit Gefangenen, teilweise auch mit Kriegsgefangenen, treffen konnten. Diese konnten ihre Gefängnisstrafe umwandeln. Sie erhielten ihre Freiheit und mussten dafür in der Grube arbeiten. Lebenslänglich allerdings. Es war also eine Freiheit mit deutlichen Beschränkungen, die sie erhielten.
Die Bergwerke von Bergslagen waren lange Zeit der Motor der Region. Sie machten Bergslagen, aber auch Schweden reich.
Heute aber sind alle Eisenerzminen in Bergslagen geschlossen. Die letzte Schicht wurde 1989 in Grängesberg gearbeitet. Dann war Schicht im Schacht. Jedoch sind die Lovisagrube bei Lindesberg und die Garpenberggrube im gleichnamigen Ort noch aktiv. Zwar nicht mehr für den Eisenerzabbau, aber Sulfiderze werden noch abgebaut, aus denen Blei- und Zinkkonzentrat gewonnen wird. Die Garpenberggrube ist damit die älteste noch heute in Betrieb befindliche Grube Schwedens.
Eine Grube mit langer Vergangenheit: die Kupfergrube von Falun
Ein anderer Rekord ist hingegen fest mit Falun verknüpft:
Denn das älteste schwedische Unternehmen ist das, welches heute unter dem Namen Stora Enso firmiert. Enso ist ein finnisches Holzunternehmen, das sich 1998 mit dem schwedischen Unternehmen Stora AB zusammentat. Stora wiederum hieß bis 1984 Stora Kopparbergs Bergslag AB, das 1862 aus dem Kopparbergets Bergslag hervorging. Es war also eine jeder Kooperativen – Bergslag – die in Bergslagen den Bergbau betrieben. Das Bergslag, das den Bergbau im Kopparberget bei Falun betrieb, kann bis 1288 zurückdatiert werden. Archäologische Spuren weisen aber darauf hin, dass schon am Ende des ersten nachchristlichen Jahrtausends hier Kupfer abgebaut wurde.
Das Bergwerk von Falun ist nicht nur alt und groß, es ist auch mythenumsponnen. Mehrere Erzählungen, wie zum Beispiel „Die Bergwerke zu Falun“ aus der Feder des dunklen Romantikers E.T.A. Hoffmann, machen die Kupfergrube zum Protagonisten der Geschichte.
Grund für diese Mythen sind zum einen der Einsturz der Grube im Jahr 1687, bei der wie durch ein Wunder aber niemand zu Schaden kam. Und zum anderen der Fund eines mysteriösen Toten, des fetten Mats von Falun.
Mehr zu dieser Grube, die besichtigt werden kann und zum UNESCO Weltkulturerbe gehört, findest du in einem separaten Artikel über die Kupfergrube zu Falun, der bald erscheint.
Sehenswerte Gruben und Hütten in Bergslagen
Die Kupfergrube von Falun ist sicherlich die bekannteste unter allen Gruben in Bergslagen. Sie zu besichtigen lohnt sehr. Aber sie ist nicht die einzige sehenswerte.
Auch an diesen Orten (und noch vielen weiteren) kannst du dich auf spannende Spurensuche über oder unter Tage begeben:
Dominanz des Nordens beim Bergbau
In Bergslagen gibt es heutzutage kaum mehr Bergbau. Viel größere Gruben konnten seit dem 19. Jahrhundert hoch oben im Norden erschlossen werden. Und bis zum heutigen Tag werden neue Gruben ausgelotet und gebaut – was immer wieder zu Konflikten mit Sami und Umweltschützern führt.
In Nordschweden sind aktuell 14 Gruben in Betrieb. Aber zwanzig weitere befinden sich in unterschiedlichen Phasen der Planung. Allein an diesen Zahlen sieht man, dass der Bergbau nichts ist, was in Schweden längst Geschichte ist, sondern etwas Hochaktuelles.
Wenn man an Nordschweden und Bergbau denkt, dann hat man sofort zwei Orte im Kopf: Kiruna und Gällivare. Hier befinden sich die ältesten und größten Gruben im Norden. Im Malmberget bei Gällivare wurde schon im 17. Jahrhundert Eisenerz gefunden. Doch lange Zeit blieb die Grube sehr klein. Denn es gab keine Möglichkeiten, große Mengen zu den Häfen zu transportieren. Erst der Bau der Malmbanan 1888 ließ die Grube rasant wachsen.
Wie die Malmbergsgrube werden auch die beiden Gruben in Kiruna, Kiirunavaara und Luossavaara (letztere ist mittlerweile aber stillgelegt), vom Bergbauunternehmen LKAB betrieben. Kiruna ist durch und durch Bergbaustadt. Die mittlerweile größte Stadt in Lappland wurde 1900 gegründet – von Hjalmar Lundbohm, technischer Leiter bei LKAB. Kiruna wurde reich durch das Eisenerz. Aber die Schächte wurden irgendwann zu weit unter die Stadt getrieben, sodass sie nun umziehen muss. Wie gesagt, der Bergbau prägt jede Faser dieser Stadt.
Sowohl die Gruben in Gällivare als auch die in Kiruna können besichtigt werden. Das Besucherzentrum in Kiruna befindet sich in der Grube – in einer Tiefe von 540 Meter.
Bergbau-Rekorde
In der Grube in Kiruna wird weltweit am meisten Eisenerz abgebaut.
Einen anderen Rekord hält hingegen die Aitik-Grube bei Gällivare. Sie wird betrieben von Boliden AB, Schwedens größtem Bergbauunternehmen. In der Aitik-Grube baut das Unternehmen Kupfer ab. Sie ist die größte Kupfergrube Schwedens und zugleich der größte Tagebau des Landes.
Neben diesen bekannten Gruben entstehen ständig neue. Aktuell ist vor allem das Skellefteåfeld in den Fokus gerückt. Zwar existiert hier bereits seit 1952 eine etwas ältere Grube, aber seit den 2000ern sind mehrere neue entstanden.
Wie viel sind die Rechte der Sami wert?
Ein neues Bergwerk soll zudem bei Jokkmokk entstehen. Das dort entdeckte riesige Feld mit wohl qualitativ hochwertigem Eisenerz soll in der Kallak-Grube von Beowulf Mining abgebaut werden. So zumindest der Wunsch des Unternehmens. Doch nicht alle sind davon begeistert. Zum einen liegt Kallak in unmittelbarer Nähe des UNESCO-Welterbes Laponia. Die UNESCO hat bereits angekündigt, sich Planung und Bau des Bergwerks sehr genau anzuschauen und eventuell auch den Welterbe-Titel zu entziehen, wenn das Gebiet nicht hinreichend geschützt wird. Im Mai war die UNESCO zu Besuch und kam zu dem Schluss, dass die Kallak-Grube das Welterbe beträchtlich schädigen wird. Zum anderen sieht das in der Region ansässige Sameby, der Zusammenschluss der rentierzüchtenden Sami bei Jokkmokk, die Rentierzucht in Gefahr, da das Bergwerk mitten in den Wanderwegen der Rentiere liege.
Da stellt sich die Frage: Was ist wichtiger: wirtschaftlicher Gewinn, Arbeitsplätze, Steuern, die gezahlt werden? Oder die Kultur derjenigen, die bereits seit Jahrhunderten hier leben und Rentierzucht betreiben?
Bergbau ist massiver Eingriff in die Umwelt und zugleich Grundlage für den Green Deal
Bei der Diskussion um den Fund seltener Erden in Kiruna drängt sich diese Frage mit noch größerer Vehemenz auf. LKAB rechnet damit, mit der Grube 30% des europäischen Bedarfs an seltenen Erden abzudecken. Und diese sind enorm wichtig: für Elektroautos, Windkrafträder und vieles mehr. Vieles, was für den europäischen Green Deal und den grünen Umbau der Wirtschaft dringend gebraucht wird. Bisher ist man hierbei vollkommen von China abhängig.
Andererseits: Jede Grube hat einen gehörigen Einfluss auf die Umwelt; sie greift ein, zerstört, verändert. Der Grundwasserspiegel muss gesenkt werden, es braucht Chemikalien, um die Mineralien zu lösen, Wasser und Luft werden verschmutzt. Hinzu kommt der Lärm. Jedoch könnte man einwenden, dass eine Grube in Europa, die nach schwedischen und europäischen Verordnungen erschlossen und geführt wird, weit weniger die Umwelt belastet als eine chinesische Grube.
Zum Aspekt der Umweltzerstörung tritt aber noch hinzu, was auch bei der Kallak-Grube eine Rolle spielt. Denn wie in Jokkmokk leben auch bei Kiruna Sami. Auch hier würde die Grube die Wanderbewegung der Rentiere des dort lebenden Samebys abschneiden, weshalb auf Seiten der Sami massiver Widerstand kommt.
Streitfrage mit schwieriger Abwägung
Seltene Erden benötigen wir, um grüner zu wirtschaften. Europa braucht sie, um von China unabhängiger zu werden. Ist das nicht gewichtiger als ein paar umherziehende Rentiere?
Der Streit hat auch eine historische Dimension. Denn die Rechte der Samen wurden in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten immer wieder aufs Neue missachtet. Jetzt also schon wieder? Dann wäre es ein weiterer Moment der vielleicht nicht Diskriminierung, aber doch der Nicht-Beachtung derjenigen, die deutlich länger hier siedeln als alle anderen.
Es wird noch zehn bis 15 Jahre dauern, bis die seltenen Erden in Kiruna aus dem Boden geholt werden können. Eine lange Zeit. Eine lange Zeit, die wahrscheinlich mit viel Streit gefüllt werden wird.
Das ist wohl das Wesen des Bergbaus, in Schweden wie auch weltweit: Für den Menschen ist er lebenswichtig. Aber er produziert immer auch Verlierer – seien es die Umwelt, die Arbeiter oder eben die Rentiere.
Beitragsbild: Jann Lipka / imagebank.sweden.se