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Feministin? Punk? Anarchistin? Revolutionärin?– Pippi Langstrumpf wird 75

Pippi Langstrumpf in der Villa Kunterbunt

Dass sie sich trotz der Einsamkeit aber tapfer durchs Leben schlägt, dass sie ihre eigenen Wege geht und sich dabei nicht verbiegen lässt, dass sie anarchisch, dabei aber nicht egoistisch ist, macht sie zum Vorbild – nicht nur für Kinder, auch für Frauen. Denn dass ein junges Mädchen in den 1940er Jahren auf die Bühne der Weltliteratur tritt und sich einen Deut um damalige Rollenideale scherte, das war ungeheuerlich. Pippi ist nicht das liebe, nette, brave Mädchen, das hübsch anzusehen ist, sich in den Haushalt einfügt und ja nicht zu selbstständig ist (das, was in dieser Zeit von jungen Frauen erwartet wurde; die brave Annika von nebenan passt in genau dieses Schema.). Damit ist Pippi Langstrumpf sehr modern und wurde so zum literarischen Vorbild der Frauenbewegung.

„Pippi Langstrumpf war mein Mädchen. Ich liebte ihre Stärke – nicht nur die körperliche, sondern auch die Vorstellung, dass sie sich von niemandem den Mund verbieten lassen würde.“

(Michelle Obama)
Michelle Obama
Michelle Obama ist Pippi-Fan; Foto: Official White House Photo by Chuck Kennedy.

Ist Pippi also eine punkige Anarcho-Feministin? Sie trägt gewiss Züge des Punks, sie lebt sicherlich eine Form der Anarchie, und es ist nachvollziehbar, dass der Feminismus in ihr ein Vorbild sah. Sie kann aufgrund ihrer Lebensweise von vielen Ideen vereinnahmt werden.

Pippi ist nicht normal.

Aber Pippi wird man damit nur teilweise gerecht. Ihren Kern trifft man mit anderen Worten besser: Pippi ist nicht normal, in dem Sinne, dass sie keiner Norm folgt, die von Erwachsenen aufgestellt wird und aus der Erwachsenenperspektive vernünftig und richtig erscheinen mag. Dass man in die Schule geht zum Beispiel. Oder dass man eben mit dem Kopf auf dem Kopfkissen schläft.

Pippi stellt aber auch andere Normen in Frage. Beispielsweise diejenigen, die uns – heute noch viel mehr als in den 1940er Jahren – von der Werbeindustrie eingehämmert werden und die nur aufs Äußere zielen. Als Pippi an einem Schaufenster vorbeikommt und darin ein Werbeschild sieht, auf dem steht „Leiden Sie an Sommersprossen?“, da geht sie schnurstracks in das Geschäft hinein, um der verständnislosen Verkäuferin freundlich zu verkünden, dass sie nicht an ihren Sommersprossen leide. Im Gegenteil: Sie gefallen ihr. Die auf dem Werbeschild gestellte Frage ist beantwortet und zugleich die ständigen äußerlichen Optimierungsversuche in Frage gestellt.

Das ist es, was Pippi ausmacht: Sie widersetzt sich der Norm. Dabei ist sie aber nicht egoistisch, sondern sie handelt großzügig und immer mit Sinn für die Schwächeren.

Pippi Langstrumpf-Produkte in Vimmerby
Bis heute ist Pippi beliebt; mittlerweile auch als Merchandising-Produkt; Foto: Tina Stafrén / imagebank.sweden.se

Kinder lieben Pippi Langstrumpf, manche Erwachsene nicht.

Kinder liebten Pippi von Anfang an. Bei den Erwachsenen sah das etwas anders aus. Zwar gab es auch hier viele Rezensionen begeisterter Erwachsener, aber man hörte auch andere Stimmen. In dem unerzogenen Mädchen, das ohne Eltern aufwächst und tut und macht, was ihm gefällt, sahen viele eine Gefahr für Kinder.

Sogar in der Mitte der 1990er Jahre gab es noch negative Kritik. Carin Stenström von den schwedischen Christdemokraten meinte 1995, dass die Pippi-Verehrung alles auf den Kopf stelle: die Schule, das Familienleben, das normale Verhalten. Da haben wir es wieder – das Normale, die Norm, gegen die Pippi verstößt. Nicht jedem gefällt das. Aber die Kritik geht noch weiter:

„Die Pippi-Verehrung […] hat Ordnung und Rücksichtnahme, Ehrlichkeit und Artigkeit lächerlich gemacht. Sie hat […] Egozentrismus, Rücksichtslosigkeit und Wirklichkeitsflucht verherrlicht. Sie hat den Impuls vor die Beherrschung gesetzt, den Einfall vor die Nachdenklichkeit.“

(Carin Stenström, KD; eigene Übersetzung)

Unklar, was Pippi darauf gesagt hätte. Aber sie hätte sicherlich ihr breites Grinsen aufgesetzt und schlagfertig geantwortet. Vielleicht, dass Carin Stenström Pippi viel zu ernst nehme. Dass die Erwachsenen Pippi viel zu ernst nehmen. Denn Kinder wissen genau, dass Pippi etwas falsch macht, wenn sie bei einem Gartenfest Saft aus einer Kanne trinkt oder die Füße auf den Tisch legt. Kinder nehmen sich Pippi nicht dergestalt zum Vorbild, dass sie anfangen, so zu leben, wie es Pippi macht. Aber Kinder spüren, dass Pippi etwas richtig macht, wenn sie überkommene Strukturen und Regeln in Frage stellt. Dann ist sie Vorbild.

In diesem Moment sollten Erwachsene Pippi durchaus ernst nehmen – und die Kinder.

In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch zum 75. Geburtstag, Pippi Langstrumpf, Pippi Långstrump, Pippi Longstocking, Peppi Pitkätossu, Pipi Dlouhá punčocha, …

Was denkst du über Pippi Langstrumpf? Wie hat sie dich geprägt? Hinterlasse gerne einen Kommentar!

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