Ich versuch’s erst gar nicht. Es ist ohnehin zum Scheitern verurteilt. Eigentlich mache ich es gerne, Orte oder Landstriche in einem Satz zusammenzufassen. Das ist eine gute Übung, das absolut Wesentliche, den Kern des Ortes herauszufiltern. Und natürlich könnte ich es mir einfach machen und diesen Text über Öland mit dem Satz beginnen: Sie ist die Sonneninsel Schwedens. Ja, richtig, aber da fehlt dann doch noch vieles, was Öland ausmacht. Vielleicht eher so: Öland, das sind Wind und Weiten, Windmühlen und Wandervögel. Neben einer schicken Alliteration habe ich immerhin vier wesentliche Elemente der Insel untergebracht. Aber ich bin immer noch weit davon entfernt, das Wesen der Insel zu treffen. Was macht Öland also aus?
Bei Sommertouristen ist Öland ein enorm beliebtes Ziel. Bei Touristen, die abseits der Monate Juni, Juli und August nach Schweden reisen, nur noch bedingt. Damit haben wir schon ein ganz entscheidendes Charakteristikum herausgefiltert: Die zweitgrößte schwedische Insel ist ein Sommerparadies, in den Monaten der Hauptsaison ist richtig was los, die Campinglätze sind voll, ebenso die Außenterrassen der Cafés und Restaurants, in den Sporthäfen tummeln sich die Boote. Abseits der Hauptsaison zeigt Öland ein ganz anderes Bild. Da sind die Orte ziemlich verschlafen, viele Cafés sind geschlossen und es ist vielerorts so gar nichts los.
In diesem Jahr war ich im April auf Öland und bin zusammen mit einer Biologin durch die steppenähnliche Stora Alvaret gewandert – ohne auf eine andere Menschenseele zu stoßen. Die Wanderparkplätze waren leer, auf den Straßen kaum ein Auto. Wenn plötzlich ein Chamaechorie, diese runden Heuballen aus Western-Filmen, über die Straße geweht würde, es würde einen nicht wundern.
Aber nur weil in der Nebensaison nix auf Öland los ist, heißt das noch lange nicht, dass es sich nicht lohnt, in dieser Zeit die Insel zu besuchen. Aber dazu später noch mehr.
Gut: Öland ist also eine Sommerinsel. Aber wie kann man sie noch charakterisieren?
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Öland – Sommerinsel und sich selbst geblieben
Für mich ist Öland auf angenehme Weise uncool. Manchmal ein wenig altbacken. Aber nicht langweilig und verstaubt altbacken, sondern eher so auf eine sympathische Art sich selbst geblieben. Ein Stück weit ist die Insel eine eigene Welt.
Vielleicht liegt das daran, dass Öland nur wenige Kilometer vom Festland entfernt liegt, aber lange Zeit doch deutlich getrennt war. Erst 1972, also erst vor etwas mehr als 50 Jahren, wurde die Brücke zwischen Kalmar und Färjestaden gebaut. Erst da rückten Festland und Insel näher aneinander heran. Die Brücke ist auch das erste Highlight, wenn man nach Öland fährt. Mit 6 Kilometern Länge ist sie mit Abstand die längste Brücke Schwedens. Es lohnt sich für Fotografen – bei schönem Wetter, vielmehr aber noch, wenn Dunst über dem Sund hängt – den Parkplatz direkt vor bzw. unter der Brücke anzusteuern. Hier unterhalb der mächtigen Pfeiler ergeben sich spannende Fotomotive.
Ist man auf der anderen Seite in Färjestaden, befindet man sich – in Nord-Süd-Richtung – ungefähr in der Mitte der Insel, die zugleich Schwedens kleinste Region (landskap) ist. 135 Kilometer erstreckt sich Öland von Süd nach Nord, im Durchschnitt ist das Eiland aber nur 10 bis 15 Kilometer breit. Als Nils Holgersson auf dem Gänserücken über Öland fliegt, erinnert ihn die Form an einen Schmetterlingskörper ohne Flügel. Da ist etwas dran.
In den Norden oder den Süden Ölands?
Da sich Färjestaden in der Mitte (oder etwas südlich der Mitte) der Insel befindet, ist hier der Moment der Entscheidung gekommen: nach rechts oder nach links? Auf den Nord- oder auf den Südteil der Insel? Oder man nimmt Färjestaden als Ausgangspunkt für mehrere Entdeckungsfahrten über die gesamte Insel. In diesem Fall können das Hotel Skansen oder für Camper der Möllstorps Camping eine gute Basis sein.
Wir schlagen nun zunächst einmal den Weg in den Norden ein. Das ist der lieblichere Teil Ölands. Ein langgestreckter Wald, der Mittlandsskogen, lädt zu Spaziergängen ein, ebenso die unendlich langen Küsten, mal sind es Steinstrände, mal Sandstrände, mal erstrecken sich Wiesen und Weiden bis ans Ufer. Pittoresk sind die vielen Windmühlen, die nicht nur auf der Nordhälfte, sondern auf der gesamten Insel zu finden sind. Im 19. Jahrhundert gab es über 2000 Windmühlen auf Öland. Inzwischen sind es nur noch etwa 350 und diese sind nicht mehr in Betrieb. Schön anzuschauen sind sie aber nach wie vor. In Lerkaka stehen beispielsweise gleich mehrere in einer langen Reihe am Straßenrand.
„Da sitzt man dann auf weißen Stühlen im grünen Gras, die roten Holzhäuser hinter und den blauen Himmel über sich, und kann gar nicht anders als den Moment genießen.“
Typisch Öland
Hier in der Nähe befindet sich auch das Ölands Museum Himmelsberga. Ein Ort, der typisch ist für die Insel. Es ist ein kleines Freilichtmuseum, das Einblicke in das Leben und Arbeiten auf dem Land auf Öland im 19. Jahrhundert gibt. Groß ist es nicht, aber sehr gepflegt, schön gestaltet. Kinder können sich selbstständig auf Entdeckungstour machen und das gemütliche Hofcafé lädt zur Fika-Pause im Grünen ein. Da sitzt man dann auf weißen Stühlen im grünen Gras, die roten Holzhäuser hinter und den blauen Himmel über sich, und kann gar nicht anders als den Moment genießen. Solche Orte gibt es viele auf Öland. Geöffnet hat es von Juni bis August täglich, im Mai und im September nur am Wochenende, ansonsten ist es geschlossen – auch das ist typisch für Öland.
Im Sommer sehr belebt, teilweise sogar regelrecht überfüllt ist die kleine Hafenortschaft Borgholm. Hier gibt es einige Übernachtungsmöglichkeiten, in Hotels, aber auch in Ferienwohnungen, die du beispielsweise über villavilla.de buchen kannst. Der Ort ist süß, gemütlich, zum Vor-sich-hin-träumen. Die Touristen kommen aber vor allem wegen der Burgruine Borgholm und des Schlosses Solliden. Öland ist nämlich auch eine royale Insel. Schon seit mehreren hundert Jahren zieht es die schwedischen Könige nach Öland – inzwischen zur Freude der Insulaner, aber das war nicht immer so (dazu später mehr).
Royales Öland – nicht immer zur Freude der heimischen Bauern
Schloss Solliden ist der Sommersitz der schwedischen Königsfamilie. König Carl XVI Gustaf betont immer wieder, welch große Bedeutung Öland für ihn hat. Die Sommer, die er als Kind hier verbringen durfte, hat er in sehr guter Erinnerung. Und diese Familientradition, im Sommer nach Öland zu reisen, setzt sich bis heute fort. Am 14. Juli wird im und um das Schloss groß gefeiert, denn da hat Kronprinzessin Victoria Geburtstag. Besonders rund um diesen Tag ist es in Borgholm meist rappelvoll.
Beeindruckender als Solliden, dessen Innenräume nicht besichtigt werden können, da sie privat sind, ist aber die Burgruine Borgholm, nur wenige hundert Meter von Solliden entfernt. Schon im 12. Jahrhundert stand hier ein mächtiger Turm. Nach und nach wuchs darum herum eine Burg heran, die aber in Kriegen gegen Dänemark mehrfach erobert und zerstört wurde. Im 16. und 17. Jahrhundert entstanden massive Verteidigungsanlagen und die Burg wandelte sich zu einem barocken Schloss, welches jedoch 1806 vollständig ausbrannte. Seitdem sind nur die Ruinen übrig – aber selbst diese sind absolut imposant und beeindruckend. Manche sagen, dass sie das Wahrzeichen Ölands sind. Die Schlossmauern können besucht und bestaunt werden, im Sommer finden hier immer wieder auch große Konzerte statt – eine magischere Umgebung kann man sich kaum vorstellen.
Von Bornholm geht es noch weitere 50 Kilometer in den Norden. Windmühlen, Strände, urige Ortschaften, ein Zauberwald ganz im Norden, Handwerk, sogar Raukar an der Küste von Byrum und an der Nordspitze der Insel der Leuchtturm Långe Erik warten hier auf den Besucher. Wer nicht denselben Weg wieder zurückfahren möchte, kann von Byxelkrok an der Nordspitze auch die Fähre zurück ans Festland nehmen.
Strände, Windmühlen und … Steppe
Wir bleiben aber noch auf Öland und besuchen die Südhälfte. Vorhin meinte ich, dass die nördliche Hälfte die lieblichere ist. Das bedeutet aber gewiss nicht, dass der Süden weniger schön ist – im Gegenteil. Für mich ist der Süden sogar reizvoller, aber er ist karger und rauer. Das liegt vor allem an der Stora Alvaret.
Öland ist wie ein Bergrücken, dessen oberster Bereich sich aus dem Meer erhebt. Dieser Berg besteht größtenteils aus Kalk und darüber hat sich eine dünne Schicht aus Erde gelegt. An manchen Stellen ist diese Erdschicht aber so dünn, ja, beinahe nicht existent, dass hier nicht viel wachsen kann. Das Resultat ist eine steppenähnliche Landschaft, in der nur manche Büsche und sehr anspruchslose Pflanzen überleben können. Agrarisch nutzbar ist die 10 Kilometer breite und 37 Kilometer lange Stora Alvaret nicht, sie ist fast schon lebensfeindlich.
Als ich im April 2023 mit der eingangs erwähnten Biologin in der Alvaret unterwegs war, zeigte sie mir, welche faszinierenden Pflanzen hier trotz der widrigen Umstände überleben können (einen ausführlicheren Bericht über diese Tour folgt bald). Auf dem kalkhaltigen Boden fühlen sich insbesondere Orchideen wohl. Jedes Jahr im Mai vollzieht sich in der Kargheit der Stora Alvaret ein farbenprächtiges Schauspiel: Wenn die Orchideen blühen, verändert die Alvaret vollkommen ihr Gesicht. Neben dem Sommer ist daher der Monat Mai ein beliebter Reisezeitraum für Öland.
Eine Burg aus grauer Vorzeit
Weiter im Süden am Rand der Alvaret, die Teil des UNESCO Naturerbes ist, erhebt sich dann ein weiteres ziemlich einmaliges Stück Kultur: die Eketorps Burg. Öland war schon früh besiedelt. Die Windmühlen und mittelalterlichen Burgen habe ich bereits angesprochen. Daneben gibt es mehrere Runensteine aus der Wikingerzeit. Aber die Besiedlung der Insel geht noch weiter zurück. Mehrere Funde aus der Eisenzeit wurden gemacht, darunter eine Rundburg, die wohl um das Jahr 300 n. Chr. errichtet wurde. Nur wenige Gebäudefunde in Skandinavien sind so alt. Im 5. nachchristlichen Jahrhundert wurde die Burg dann ausgebaut, später jedoch aus unbekannten Gründen aufgegeben. Die rekonstruierte Burg kann heute besichtigt werden.
Auf der Fahrt zur Südspitze Ölands kommt man irgendwann an einer alten Steinmauer vorbei: die Karl X Gustafs Mauer. Der damalige Thronfolger ließ die Mauer im Jahr 1653 errichten, um das Wild im Süden rund um den königlichen Jagdhof Ottenby Gård zu konzentrieren. Von 1569 bis 1801 war ganz Öland königliches Jagdrevier. Für die auf der Insel lebenden Bauern bedeutete dies nichts Gutes, denn ihnen war die Jagd strengstens verboten. Phasenweise durften sie nicht einmal Holz im Wald schlagen. Die Bauern auf Öland waren daher arm und nicht sonderlich zahlreich. Erst nach 1801 stieg die Bevölkerung langsam an. Als die Bauern aber von der Neuen Welt erfuhren, wanderten sie in Scharen in die USA aus.
Selbst heute leben nur etwa 26.000 Menschen auf Öland. Damit ist Öland hinsichtlich der Bevölkerungszahl die zweitkleinste schwedische Landschaft. Nur in Härjedalen leben noch weniger Menschen.
Öland, das Vogelparadies
Zahlreich hingegen sind die Vögel. Vor allem im Frühjahr und im Spätsommer rasten hier tausende und abertausende Zugvögel auf ihrer Reise Richtung Norden bzw. im Spätsommer Richtung Süden. Die Südspitze Ölands eignet sich dabei hervorragend, um die Vögel zu beobachten, zum Beispiel während eines Spaziergangs durch das Ottenby Lund Naturreservat und beim Besuch der Ottenby Vogelstation, die gleich neben dem Leuchtturm Långe Jan gelegen ist.
Bei diesem Leuchtturm, mit 41,6 Metern Schwedens höchster Leuchtturm, endet unsere Reise über Öland. 197 Stufen führen hinauf. Anstrengend, aber lohnenswert, denn die Aussicht von hier oben ist fantastisch.
Und wenn man hier oben steht und auf Öland, das Meer, die unzähligen Vögel und vielleicht den einen oder anderen Windsurfer hinabblickt, dann taucht sie wieder auf, die Frage nach dem, was Öland ausmacht. Die Insel ist eine Sommerinsel, ganz klar. Aber sie ist so viel mehr, wie dieser Bericht hoffentlich zeigen konnte.