Eine Glosse vom Elch
Da kommen sie wieder angekrochen. Wie fast jede Nacht. Sie tragen dunkelgrüne oder schwarze Outdoor-Jacken und meinen, sie seien leise. Aber ich habe sie natürlich schon lange entdeckt. Bin ja nicht blöd. Geduldig pirschen sie durch das Gebüsch und werden das noch die ganze Nacht machen. Immer in der Hoffnung, mich zu sehen. Nur ganz kurz. Keine Ahnung, warum sie das wollen, die Deutschen, Holländer, Japaner und woher sie alle kommen. Jedenfalls sind sie alle nur wegen mir hier in der Wildnis unterwegs, wo sie doch eigentlich im Bett sein sollten.
Dabei bin ich nichts Besonderes, sondern nur ein Elch. Es gibt mich tausendfach in Schweden.
Ja, toll, ein Elch sieht zum Knutschen aus …
Warum nur glauben so viele Touristen, dass man mich unbedingt einmal in freier Wildbahn gesehen haben muss? Ist es wegen dem majestätischen Geweih? Oder weil ich so tollpatschig aussehe? Na, beweg du dich mal eleganter, wenn du so lange Beine und einen gestauchten Rumpf hast! Und für meine überhängende Oberlippe kann ich auch nix. Aber weshalb gehen die Menschen nicht einfach in einen Elchpark? Da leben Artgenossen von mir, die man problemlos angucken kann. Die haben auch schlaksige Beine, dicke Oberlippen, mächtige Geweihe.
Vorsicht, wenn es mit uns kracht!
Wahrscheinlich ist das aber nichts Außergewöhnliches. Und das wollen wohl die meisten. Sie wollen mich suchen, mir nachspüren, mich entdecken. Dabei sollten sie froh sein, dass ich mich so rar mache. Die drei- bis viertausend Autofahrer, mit denen einer von uns jedes Jahr in Schweden kollidiert, wären glücklich, wenn wir uns noch rarer gemacht hätten. Ein Wildunfall mit uns ist alles andere als lustig. Und das wiederum liegt an unseren angeblich so lustigen langen Beinen. Bei einem Unfall bleiben wir nicht einfach im Kühlergrill hängen, nein, wir krachen mit unserem Oberkörper voll gegen die Frontscheibe. Und glaubt mir, wir sind schwer! Daher wird schwedischen Autofahrern auch geraten, dass sie uns ausweichen sollen, wenn wir mal auf der Straße stehen sollten. Ja, mit Verlaub, dafür bin ich auch! Weicht uns aus! Ich habe gehört, dass man in Deutschland in das Wild hineinfahren soll, weil man bei einem Ausweichmanöver ins Schleudern und vielleicht sogar ins Kippen geraten kann. An uns denkt da mal wieder keiner. Die Schweden haben immerhin den Elch-Test erfunden, bei dem Autos überprüft werden, ob sie uns ausweichen können, ohne zu kippen. Naja, was ich sagen will: Wir sind gefährlich und nicht dafür geeignet, uns irgendwo aufzuspüren. Wenn wir ein Junges bekommen haben, sollte uns erst recht niemand zu nahe kommen.
Beim Abmontieren des Elch-Schilds hört der Spaß auf!
Und wir tun doch auch so alles dafür, die Menschlein irgendwie zu erheitern. Reicht das nicht? Wir essen mit Vorliebe vergorene Früchte und wenn wir dann betrunken durch einen Supermarkt torkeln oder in einen Swimmingpool hineinfallen, ergibt das doch ganz nette Youtube-Videos, die tausendfach geteilt werden. Manchmal stehen wir auch einfach blöd am Straßenrand rum. Da kann man anhalten, aussteigen, Fotos machen. Wir sind ja nicht so. Der Spaß hört aber auf, wenn irgendein Vollidiot meint, er müsse ein „Vorsicht Elch“-Schild abmontieren und bei sich zu Hause als Trophäe in sein Kinderzimmer hängen. Die werden nicht ohne Grund aufgestellt, du Vollhonk (siehe die drei- bis viertausend Unfälle oben)!
Nun gut, ich kann mich noch so lange echauffieren, es ändert sich ja doch nix. Die durchs Unterholz kriechenden Menschen machen gerade Pause, essen Brote und haben ihre Nachtsichtgeräte abgelegt. Ich hau mich in die Büsche. Hab heute irgendwie keine Lust, Touristenherzen höher schlagen zu lassen. Sie können morgen ja wiederkommen. Ach, ich vergaß: Sie werden morgen ganz gewiss wiederkommen.
Beitragsbild: Staffan Widstrand / imagebank.sweden.se