Feste und Bräuche Geschichte

Nobel – „Kaufmann des Todes“ oder Wohltäter der Menschheit?

Alfred Nobel

Heleneborg liegt idyllisch. Das Industrielokal befindet sich am nördlichen Ufer der Insel Södermalm in Stockholm. Ein schmaler Kanal trennt hier Södermalm von Långholmen. Blickt man heute von Heleneborg hinüber nach Långholmen, schaut man auf einen Kajakverleih und unzählige Freizeitboote. Etwas oberhalb von Heleneborg sitzen die Menschen im Sommer im Café Lasse i parken, das eher an einen beschaulichen Ort irgendwo auf dem Land als an Stockholm erinnert.

Vor fast 160 Jahren war es hier auf Södermalm weniger idyllisch. Söder war der Stadtteil der Arbeiter. Viele Gebäude waren heruntergekommen, die Menschen arm, das Leben hart. Der Stadtteil hatte den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Kniv-Söder“ (Messer-Söder). Gewalt gehörte zum Alltag. Långholmen war eine Gefängnisinsel, der Zutritt streng bewacht. Im Industrielokal Heleneborg wurde hart geschuftet. Das Gebäude hatte schon so einiges gesehen: Webereien, Tabakfabriken, Druckereien.

Seit einigen Jahren ging es weniger staubig und lärmend her, dafür aber umso gefährlicher.

Explosion mit Nachwirkung

Es ist der 3. September 1864. Ein gewöhnlicher Arbeitstag auf Söder. Dampf- und Segelschiffe liegen am Ufer und werden be- und entladen, auf Pferdekarren werden alle möglichen Waren durch die Gegend gezogen, in den Fabriken wird gearbeitet – bis plötzlich alle durch einen lauten Knall aufgeschreckt werden. Die Menschen eilen nach draußen, alle reden und schreien aufgeregt durcheinander. Was war geschehen?

Eine Explosion in Heleneborg, rufen sie schon und alle eilen in diese Richtung. Dort angekommen sehen sie, dass von einem Nebengebäude nicht mehr viel übrig ist. Die Detonation muss gewaltig gewesen sein. Das Hauptgebäude ist etwas beschädigt, aber nicht allzu sehr. Glück für diejenigen, die sich dort aufgehalten haben. Schnell beginnen die Umstehenden, nach Verletzten und Überlebenden zu suchen. Am Ende des Tages ist ihnen klar, dass fünf Arbeiter die Explosion nicht überlebt haben. Unter den Toten ist ein 21-Jähriger. Er heißt Emil, Emil Nobel. Sein älterer Bruder hielt sich zum Zeitpunkt des Unglücks im Hauptgebäude auf und überlebte. Sein Name: Alfred Nobel.

Die Arbeiter starben, weil sie gerade dabei waren, im Laboratorium in Heleneborg Nitroglycerin zu waschen. Erst wenige Jahre zuvor, 1847, hatte der italienische Chemiker Ascanio Sobrero den explosiven Stoff entdeckt. Doch er explodierte so leicht, dass bereits kleinste Erschütterungen genügten, um gewaltige Detonationen herbeizuführen. Diese Eigenschaft des Nitroglycerins mussten die fünf Arbeiter mit ihrem Leben bezahlen. Der Besitzer des Laboratoriums, Alfred Nobel, ließ sich vom Tod seines jüngeren Bruders aber nicht abhalten. Vielmehr stachelte das tragische Ereignis ihn noch mehr an. Er wollte einen Weg finden, wie Nitroglycerin besser handhabbar werden könnte. Am Ende sollte er diesen Weg erfolgreich begehen und zu einem der berühmtesten und einflussreichsten Schweden aller Zeiten werden.

Kanal zwischen Långholmen und Södermalm
Früher eher ein raues Viertel, heute ein Idyll: der Kanal zwischen Långholmen und Södermalm

Nobel – sprachgewandt und von Sprengstoffen begeistert

Am 21. Oktober 1833 wurde Alfred Nobel in Stockholm geboren. Sein Vater Immanuel Nobel war Ingenieur und Besitzer eines Industriebetriebs, sodass Alfred, seine beiden älteren Brüder Robert und Ludvig sowie sein jüngerer Bruder Emil in recht wohlhabenden Verhältnissen aufwachsen konnten. Doch irgendwann liefen die Geschäfte schlechter und immer schlechter. Eine neue Chance bekam der Vater, als er – mit Unterstützung der norwegischen Regierung – einige Hüttenwerke in Sankt Petersburg und Umgebung gründen sollte. Die Familie zog also in die damalige russische Hauptstadt, wo die Geschäfte des Vaters gut liefen und die Familie in Wohlstand lebte. Alfred Nobel erhielt Privatunterricht und lernte in kurzer Zeit fließend Russisch. Grundsätzlich war er ein Sprachtalent. Neben Schwedisch und Russisch kamen noch Deutsch, Französisch und Englisch hinzu, Sprachen, die er allesamt fließend oder doch zumindest sehr gut beherrschte und während seiner zahllosen Reisen vertiefte.

In Sankt Petersburg studierte Alfred Nobel Chemie – eine Wissenschaft, die nicht nur zu seinem Beruf, sondern zu seiner großen Leidenschaft werden sollte. Nachdem die Familie 1859 zurück nach Stockholm gezogen war, begann Nobel, sich intensiv mit Sprengstoffen auseinanderzusetzen. Besonders das Nitroglycerin hatte es ihm angetan. Auf einer seiner vielen Reisen hatte er 1850 in Paris eben jenen Ascanio Sobrero kennengelernt, der kurz zuvor Nitroglycerin entdeckt hatte.

Die Welt schreit nach Sprengstoffen.

Sprengstoffe hatten Hochkonjunktur zu dieser Zeit. Sicherlich auch wegen der vielen Kriege, die im 19. Jahrhundert weltweit geführt wurden, viel mehr aber noch wegen der Industrialisierung. Überall in Europa und vor allem in Nordamerika wurde gebaut, wurden Stollen in die Erde getrieben, um Kohle und andere Materialien abzubauen, entstanden Fabriken und riesige Eisenbahnnetze.

In den USA war die Go West-Bewegung in vollem Gange. Die indigene Bevölkerung wurde bekämpft, vertrieben und in Reservate gesteckt. Die Weißen nahmen das neue Land in Besitz und mit ihnen kam die Eisenbahn, die sich gierigen Fingern gleich bald übers ganze Land erstreckte. Um Tunnel zu bauen, Hügel zu begradigen, um Häfen anzulegen und Stollen zu bauen – überall brauchte man Sprengmittel. Sicherlich war all dies auch in Handarbeit möglich. Aber wie viel schneller ging es, wenn man den Fels einfach wegsprengen konnte? Wer Sprengstoff herstellen konnte, der hatte also Aussicht auf hohe Gewinne.

Nitroglycerin war dazu eigentlich perfekt. Die Sprengwirkung ist enorm. Es gab jedoch eine große Einschränkung: Denn Nitroglycerin ging viel zu leicht in die Luft. Bereits kleinste Erschütterungen konnte dazu führen, dass die ganze Ladung hoch ging. Alfreds jüngerer Bruder und die vier anderen Arbeiter mussten dies mit dem Leben bezahlen.

Durchbruch in Deutschland – wegen eines Zufalls

Nach dem Unglück auf Södermalm verbot die Stadt Stockholm, dass mit Nitroglycerin in dicht bebauten Gebieten experimentiert werden darf. Nobel verlagerte daraufhin das Laboratorium und die Fabrik nach Vinterviken im südlichen Stockholm. Außerdem richtete er noch eine zweite Versuchsstätte in Krümmel im heutigen Schleswig-Holstein unweit von Hamburg ein. Auch hier ereigneten sich mehrere heftige Unfälle. Aber hier kam auch der entscheidende Durchbruch:

Es war 1866, als es beim Verladen von Nitroglycerin fast zu einem Unglück kam, denn der explosive Stoff sickerte aus den Behältnissen. Die Arbeiter hatten die Ladefläche aber mit Kieselgur ausgelegt, eine Erde oder ein Schlamm, der besonders in der nahegelegenen Lüneburger Heide vorkommt. Das reine Nitroglycerin wurde von Kieselgur aufgesogen, aber es entstand keine Explosion. Die Arbeiter meldeten den Vorfall Alfred Nobel. Dieser war begeistert. Denn endlich hatte er gefunden, was er so lange gesucht hatte: eine Möglichkeit, Nitroglycerin zu binden und handhabungssicher herzustellen. Ein Jahr später ließ er diese Entdeckung patentieren und nannte dieses neue Produkt „Dynamit“.

Damit war der Grundstein für Alfreds Nobel Karriere, Reichtum und seinen bis heute währenden Einfluss gelegt.

Nobel – „Europas reichster Vagabund“

Das Dynamit war bei weitem nicht die einzige Erfindung Nobels. Etwa 350 Patente meldete er während seines Lebens an. Aber keine war so durchschlagend wie das Dynamit. Die Eisenbahnunternehmer, Goldgräber und wer sich noch so durch die Landschaft sprengen wollte waren begierig nach Unmengen an Dynamit. Und so baute Alfred Nobel in kurzer Zeit ein riesiges Vermögen auf. In vielen Ländern hatte er Unternehmen und Niederlassungen, zwischen denen er zeitlebens herumreiste. Manche nannten ihn daher „Europas rikaste vagabond“ (Europas reichster Vagabund).

Auch als Waffenfabrikant machte er sich einen Namen und ein zusätzliches Vermögen. So besaß er in Karlskoga eine Waffenfabrik. Hier auf dem stattlichen Herrenhof Björkborn lebte er von 1894 bis 1896, ehe er nach San Remo bei Genua zog, wo er sich eine Villa zugelegt hatte. Hier starb er auch im Alter von 63 Jahren.

Ein Waffenfabrikant als Stifter des Friedensnobelpreises?

Wäre dies die ganze Geschichte, dann wäre sie es wohl nicht wert, erzählt zu werden. Alfred Nobel war steinreich, er war der Erfinder von Dynamit, damit hätte er sich einen kleinen Platz in den Geschichtsbüchern erworben, mehr aber nicht. Doch Alfred Nobel hat einen großen Platz eingenommen. Schließlich ist er der Stifter der Nobelpreise, die jedes Jahr in den Kategorien Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Einsatz für den Frieden vergeben werden.

Ein Waffenfabrikant, der Erfinder des Dynamits und des Ballistits, eines besonderen Schießpulvers, als Stifter des weltweit wichtigsten Friedenspreises? Das klingt zunächst paradox.

Nobel verabscheute den Krieg. Er war der naiven Hoffnung, dass es irgendwann keinen Krieg mehr gebe, wenn die Menschen erkennen, welch zerstörerisches Potenzial die Waffenarsenale der Welt haben. Abschreckung durch Aufrüstung – eine Idee, die – das zeigen die zwei Weltkriege – getrost als naiv bezeichnet werden darf. Neben der Abscheu dem Krieg gegenüber spielten aber noch andere Dinge eine wichtige Rolle bei Nobels Entscheidung, nahezu sein gesamtes Vermögen einer Stiftung zu überlassen:

„Kaufmann des Todes“?

Im Jahr 1888 starb Alfreds älterer Bruder Ludvig, der im Ölgeschäft ebenfalls steinreich geworden war. Eine französische Zeitung druckte nun einen Nachruf, der Folgen hatte. Denn aus Versehen wurde ein Nachruf auf Alfred Nobel und nicht auf dessen Bruder veröffentlicht. Den Käufern der Zeitung blickte die Überschrift entgegen: „Le marchand de la mort est mort.“ („Der Verkäufer des Todes ist tot.“) Im Artikel wurde Nobel als ein Geschäftsmann dargestellt, der nur deswegen zu solch großem Reichtum gekommen sei, weil er die Art, im Krieg zu töten, effektiviert habe. Wohl war Nobel schockiert, als er diese Nachricht las, und begann, darüber nachzudenken, wie er nach seinem Tod wahrgenommen würde. Wollte er wirklich als „Kaufmann des Todes“ in Erinnerung bleiben?

Im Jahr 1876 veröffentlichte Nobel in einer Wiener Zeitung eine Annonce, in der er als „ein reicher, hochgebildeter älterer Mann, wohnhaft in Paris, eine sprachkundige Dame, ebenfalls im fortgeschrittenen Alter, als Sekretärin und Haushaltsvorständin“ suchte. Eine adlige Dame im gar nicht so fortgeschrittenen Alter von jungen 33 Jahren meldete sich: die österreichische Gräfin Bertha Kinsky. Zwar blieb sie nur eine Woche im Dienst bei Nobel, aber diese Zeit genügte als Grundlage für eine lange und intensive Freundschaft zwischen den beiden.

Bertha von Suttner 1905, Foto: gemeinfrei

Friedensaktivistin mit Einfluss auf Nobel

Bertha Kinsky war in dieser Zeit eine Gallionsfigur der Friedensbewegung. Ihre Ansichten und Überzeugungen hinterließen bei Alfred Nobel einen tiefen Eindruck. Man kann davon ausgehen, dass ihr Einfluss entscheidend für die Stiftung des Friedensnobelpreises war. Bertha Kinsky heiratete wenige Jahre später und nahm den Namen Bertha von Suttner an. 1905 war sie die erste weibliche Preisträgerin des Friedensnobelpreises.

Als Alfred Nobel in San Remo starb und sein Testament geöffnet wurde, war dies eine herbe Enttäuschung – zumindest für die Verwandtschaft. Denn sie erhielt nur ein halbes Prozent des riesigen Erbes. Der Rest ging an eine Stiftung, die zu gründen sei und die jedes Jahr von den Zinserträgen des Stiftungsvermögens die fünf Nobelpreise vergeben solle.

Die Stiftung des Nobelpreises

Und so geschah es: Die Nobelstiftung wurde eingerichtet, 1901 wurden zum ersten Mal die Preise vergeben an Menschen, die sich in besonderer Weise für die Menschheit eingesetzt haben. Alfred Nobel sah fünf Kategorien vor: Die Preise in Physik und Chemie sollten von der Kungliga Vetenskapsakademien vergeben werden, der Preis für Medizin vom Karolinska Institutet. Der Preis für Literatur, die Alfred Nobel ganz besonders am Herzen lag – er verfügte über eine Bibliothek mit mehr als 2600 Titeln und schrieb auch selbst –, wurde von der Svenska Akademien vergeben, der Friedensnobelpreis vom norwegischen Nobelkomitee. Norwegen befand sich zu dieser Zeit noch in Personalunion mit Schweden, was erklärt, dass dieser Preis in Oslo vergeben wird.

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1901 war der Startschuss für die Nobelpreise. Bis heute sind sie die renommiertesten Preise überhaupt. Koryphäen der Wissenschaften sind unter den Preisträgern, wie Wilhelm Conrad Röntgen, der erste Preisträger in Physik, Marie Curie, die den Preis sogar in Chemie und Physik erhielt, Albert Einstein, Max Planck und viele weitere.

Verleihung der Nobelpreise im Konzerthaus von Stockholm
Verleihung der Nobelpreise im Konzerthaus von Stockholm; © Nobel Media AB 2015. Photo: Alexander Mahmoud

Wo wird am Nobeltag gefeiert?

Jedes Jahr am 10. Dezember werden sie in einer feierlichen Zeremonie überreicht. Der 10. Dezember ist der Todestag Nobels, der im schwedischen Kalender auch „Nobeldag“ genannt wird. Bekanntgegeben werden die Preisträger aber bereits einige Wochen früher. Meist am Tag vor dem 10. Dezember halten die Preisträger Vorlesungen. Am 10. Dezember versammeln sich dann alle im Stockholmer Konzerthaus am Hötorget. Das Königshaus ist anwesend, die höchsten Politiker und viele Ehrengäste. Der Friedenspreis hingegen wird im Rathaus von Oslo vergeben.

Nach der Preisvergabe geht es weiter ins Stockholmer Rathaus, in die „Blå hallen“, den blauen Saal, wo das Nobelbankett stattfindet. Hier wird nobel gegessen und anschließend getanzt und gefeiert.

Nobel-Bankett im Stockholmer Stadshuset
Nobel-Bankett im Stockholmer Stadshuset; © Nobel Media AB 2015. Photo: Alexander Mahmoud

Mutter Teresa macht nicht mit.

Nur einmal wurde nicht gegessen. Das war in Oslo 1979. Mutter Teresa hatte den Friedensnobelpreis erhalten. Für sie war es aber obszön, nun fürstlich zu speisen. Das Geld sollte lieber an die Armen gehen. Sie arrangierte daraufhin ein Weihnachtsessen für 2000 Obdachlose, das dem Wert dessen entsprach, was das Nobelessen gekostet hätte.

Auf den Medaillen, die Mutter Theresa und alle anderen Nobelpreisträger erhielten, sieht man Alfred Nobel im Profil. So wird er also in Erinnerung bleiben – und nicht als „der Kaufmann des Todes“.

Beitragsbild: © Nobel Media AB 2015. Photo: Pi Frisk

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