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Der neue Jonasson – ein kurzes Lesevergnügen

Jonasson Wie die Schweden das Träumen erfanden

Jonas Jonasson ist ein begnadeter Erzähler. Locker leicht, urig komisch und dann doch wieder zwischendurch ganz ernst und mitfühlend. Seine Figuren sind Unikate, meist etwas schräg, aber immer zum Liebhaben. Ist ihm dies in seinem neuesten Buch „Wie die Schweden das Träumen erfanden“ wieder gelungen? Wir sind der Meinung: nur zum Teil.

Mit dem Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand (Original: Hundraårigen som klev ur fönstret och försvann) debütierte der småländische Schriftsteller Jonas Jonasson, der mittlerweile auf Gotland lebt, grandios. Das Buch war sowohl in Schweden als auch international Gesprächsstoff. Schließlich kommt es nicht alle Tage vor, dass ein Hundertjähriger Protagonist eines Romans wird, dabei in den Besitz von 50 Millionen Kronen gelangt und von einer Verbrecherbande gejagt wird. Und noch seltener kommt es vor, dass dieser Hundertjährige in seinem Leben, das in Rückblicken erzählt wird, mit allen möglichen Hochkarätern der Geschichte zusammentrifft – angefangen bei Franco, dem er eher zufällig das Leben rettet, über Mao Zedongs Frau, der er ebenfalls das Leben rettet, bis hin zu Stalin, dessen Zorn er auf sich zieht.

Skurrile Figuren erleben skurrile Abenteuer.

Es gehört schon eine Menge Chuzpe und schriftstellerischer Wagemut dazu, eine solch abgefahrene Geschichte zu erzählen. Aber Jonas Jonasson machte genau dies in einer unglaublich lockeren Weise und das mit durchschlagendem Erfolg.

Dieses Erzählmuster – skurrile, aber liebenswerte Figuren erleben skurrile, eigentlich nicht mögliche Abenteuer – wird in gewisser Weise zum Markenkern von Jonasson. Auch in seinem vorletzten Roman vom „Profeten och idioten“ (deutscher Titel: „Drei fast geniale Freunde auf dem Weg zum Ende der Welt“), das 2022 erschien, folgte er diesem Muster.

Sieht es beim neuesten Jonasson-Werk, das Ende 2023 in die deutschen Buchläden kam, ähnlich aus?

Irritierender Titel

Der deutsche Titel, zu dem die Übersetzerin und der Bertelsmann-Verlag aus welchen Gründen auch immer gekommen sind, weicht vom bisherigen Schema ab: „Wie die Schweden das Träumen erfanden“. Im schwedischen Original heißt das Buch – deutlich näher am Humor des Autors – „Det rådige kommunalrådet“. Sicher, bei der Übersetzung muss diese wundervolle figura etymologica wegfallen. „Die entschlossene Bürgermeisterin“ klingt deutlich unkreativer und wird nicht allzu viele Leser anlocken. Dass man sich also bei der Übersetzung des Titels etwas einfallen lassen musste, leuchtet ein. Aber wirklich „Wie die Schweden das Träumen erfanden?“ Das hat mit der Handlung der Erzählung nur am Rande etwas zu tun und so scheint es, als wolle man bewusst mit Bullerbü-Schweden-Idyllen die in den deutschen Lesern vermuteten Sehnsüchte nach einem schwedischen Traumland triggern.

Das stört. Ebenso das Vorwort von Jonas Jonasson, der hier schreibt: „Die Zeiten sind wahrlich nicht einfach, Krieg und Konflikte überall, und genau deshalb hatte ich das dringende Bedürfnis, etwas zu schreiben, das uns Hoffnung schenkt.“ Nichts spricht dagegen, in schwierigen Zeiten heitere Bücher zu schreiben. Aber im Vorwort klingt das fast ein bisschen wie Erbauungsliteratur. Und das ist das Büchlein dann doch gewiss nicht.

Der neue Jonasson – zum Schmunzeln, aber auch ziemlich kurz

Mit 160 Seiten ist der neue Roman deutlich kürzer als bisherige Jonasson-Bücher. Da er in der typisch lockeren Schreibweise des Autors geschrieben ist, ist es ein kurzweiliges – und am Ende auch tatsächlich kurzes – Lesevergnügen. Ein kleines nettes Buch zum Schmunzeln und für Zwischendurch. Aber auch ein Buch, das keinen bleibenden Eindruck hinterlassen wird. Auch das liegt an der Kürze.

Um was geht es? Konrad Kaltenbacher jr. ist Chef des deutschen Weltkonzerns „Traumbett“. In der ganzen Welt schlafen die Menschen traumhaft gut in den Betten des Konzerns. In der ganzen Welt? Nein, einem gallischen Dorf gleich trotzt Schweden den deutschen Betten. Bisher hat es „Traumbett“ nicht geschafft, sich in Schweden durchzusetzen. Jetzt will Kaltenbacher aufs Ganze gehen und in Schweden eine Fabrik eröffnen. 800 Arbeitsplätze sollen dadurch geschaffen werden.

Im Stockholmer Frihamnen ist schon ein geeignetes Grundstück mit dazugehöriger Fabrikhalle gefunden. Für die Finanzsenatorin Stockholms und ihren sexistischen und versoffenen Berater Carlander nahezu ein Selbstläufer. Doch sie haben die Rechnung ohne Halstaholm gemacht.

Halstaholm? Nie gehört?

Carlander auch nicht. Und Kaltenbacher erst recht nicht. Halstaholm ist ein kleines Kaff irgendwo südlich von Södertälje. Vor Jahren gab es hier mal eine Reifenfabrik. Aber seitdem diese dicht gemacht hat, geht es mit Halstaholm bergab. Die Leute ziehen weg, die Stimmung ist im Keller. Kein gutes Umfeld, um als neue Bürgermeisterin durchzustarten. Doch Julia Bäck geht ihre neue Aufgabe mit dem großen Willen, wieder Leben nach Halstaholm zu bringen, an. Das Fabrikgelände der Reifenfabrik steht noch. Könnte da nicht „Traumbett“ einziehen? 800 Arbeitsplätze – das wäre ein Neustart für das Örtchen in der tiefsten Provinz.

Um aber den Konkurrenten Stockholm auszustechen, müssen sich Julia und die von ihr rasch gegründete Taskforce einiges ausdenken – manches gerade noch so legal, anderes nicht mehr wirklich. Und so nimmt eine Charme-Offensive ihren Anfang, wie sie Halstaholm und – noch weniger – Kaltenbacher je erlebt haben. Dazu werden Günter Grass-Büsten abgestaubt, schon auch mal ein Haus in die Luft gesprengt, eine DDR-Flagge gehisst und Wikingerschätze vergraben.

Stockholm gegen Halstaholm, das ist Großstadt gegen Provinz

Den blasierten Stockholmern fällt erst sehr spät auf, dass sie die Konkurrenz aus Halstaholm ernst nehmen sollten. Ab dem Moment ziehen sie aber alle Register, um „Traumbett“ nach Stockholm zu holen. So beginnt ein Kampf mit Hauen und Stechen zwischen Stockholm und Halstaholm. Die beiden Orte stehen dabei stellvertretend für Großstadt und Provinz.

Jonasson stammt selbst aus der Provinz und lebt auf Gotland ebenfalls dort. Wie er selbst sagt, will er mit diesem Roman die Provinz stärken und dem Trend, dass es alle und alles nur in die Großstadtregionen zieht, etwas entgegensetzen.

Im Grand Hotel in Stockholm steigt der Unternehmer Kaltenbacher ab.

Jonassons Spiel mit Klischees geht nicht auf.

Dass dabei mit Klischees gearbeitet wird, ist wahrscheinlich unausweichlich. Die Hauptstädter sind eben blasiert, arrogant und abgehoben. Für die Provinz haben sie vor allem Verachtung übrig – wenn sie sie überhaupt wahrnehmen. Die Provinzler hingegen sind bodenständig, nett und hilfsbereit, gut, etwas verschroben und kauzig auch, aber im Kern eben sehr sympathisch. Solche Klischees gehen in Ordnung, durch sie wird auch ordentlich Witz versprüht.

Aber Jonasson hat es hier ein wenig übertrieben, denn viele Charaktere wirken holzschnittartig, zu sehr ihrem Klischee verpflichtet und sind damit zuletzt vor allem eins: langweilig. Carlander, der Berater der Stockholmer Finanzsenatorin, ist hierfür das beste Beispiel. Er ist nicht nur extrem arrogant und schnöselig, sondern auch versoffen, offensichtlich gut aussehend und ständig verirren sich irgendwelche hübsche Frauen in sein Bett – für die er aber dann auch nur Verachtung übrig hat. Noch dazu fährt er natürlich Porsche, trinkt nur die teuersten Weine, flucht ständig, feiert Partys mit leicht bekleideten Frauen auf Yachten in den Stockholmer Schären, spricht seine Chefin mit „Schätzchen“ und „Süße“ an und findet kleine Kinder ziemlich fürchterlich. Dadurch entsteht ein extrem eindimensionaler Charakter.

Andere Figuren werden aufgrund der Kürze des Buchs nicht in ihrer Tiefe entfaltet. Julia Bäck, der Unternehmer Kaltenbacher oder auch die Mitglieder der Taskforce sind allesamt Figuren, die sehr differenziert gezeichnet hätten werden können. So hätten sie Leben erhalten. Viele bleiben letztlich aber sehr blass, was schade ist.

Kurzweilig, amüsant, für Jonasson-Kenner aber eine Enttäuschung

Manchmal drängt sich beim Lesen der Eindruck auf, hier sollte in kurzer Zeit ein Buch entstehen, das dann schnell vermarktet werden kann. Dadurch kommt durchaus ein kurzweiliges Lesevergnügen zustande, aufgrund der Kürze des Buchs kommen aber die Charaktere und der Tiefgang zu kurz.

Wer zum ersten Mal einen Jonasson liest, wird sicherlich glücklich und zufrieden mit diesem Buch sein. Wer aber den Hundertjährigen als Maßstab nimmt – mit dem Jonasson die Messlatte zweifelsohne sehr hoch gelegt hat –, der wird wahrscheinlich eher enttäuscht sein. Auch dem Anspruch, einer von Krisen und Kriegen geprägten Welt etwas Positives und Leichtes entgegenzusetzen, kann das Buch nur in Teilen genügen. Vielmehr werden Differenzen zwischen Stadt und Land betont und vertieft.

Insgesamt ein kurzweiliges, durchaus amüsantes Büchlein, welches aber an der Kürze auch erheblich leidet.

Jonas Jonasson: Wie die Schweden das Träumen erfanden*
Übersetzung: Astrid Arz
Verlag: Bertelsmann
Seiten: 160
Erscheinungstag: 15.11.2023
Preis: 22,- (gebundene Ausgabe)
Cover Jonasson Wie die Schweden das Träumen erfanden
Copyright: Bertelsmann Verlag

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