Långfärdsskridskoåkning – das Schwedische kann auch mit einigen Wortungetümen begeistern. Nehmen wir dieses wunderschöne Wort auseinander, kommen wir zu einem der schönsten Wintersportvergnügen, die der Norden zu bieten hat. Åkning bedeutet „Fahren“, skridskor sind die „Schlittschuhe“ und långfärdsskridskor sind spezielle Schlittschuhe, die dafür gemacht sind, längere Touren damit zu gehen. Auf Englisch würde man „Tour Skating“ sagen. Sprich: Man fährt mit Schlittschuhen an den Füßen über zugefrorene See, manchmal auch Kanäle oder das Meer – stundenlang oder, wer mag, auch tagelang. Stockholm ist für diese Form des Iceskating ein idealer Ort.
Es könnte unangenehm werden. Der Wind pfeift unbarmherzig um unsere Ohren. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen und es ist bitterkalt, als wir am Ufer des Vallentunasees nördlich von Stockholm stehen. Die Minusgrade dringen in Windeseile durch die Handschuhe und auch die Thermounterwäsche bietet nur geringen Schutz. Und da sollen wir mehrere Stunden auf dem Eis aushalten? Brrr…
Nun erklärt Joakim, unser Guide, was wir tun sollen, wenn wir durchs Eis einbrechen. In der Theorie klingt es gar nicht so schlimm, aber der Gedanke, bei dieser Kälte tatsächlich baden zu gehen, ist alles andere als einladend.
Doch trotz allem: Wir sind heiß darauf, endlich aufs Eis zu gehen und über den See gleiten zu können.
Wir brechen ein – zumindest ein bisschen!
Aber dann die nächste Irritation. Vom Steg aus setzen wir unsere Füße mit den untergeschnallten Kufen auf das Eis. Es knirscht und knackt und knarzt. Das ist normal, aber im ersten Moment nicht unbedingt vertrauensbildend. Als wir aber die ersten Meter fahren, passiert es: Wir brechen durch eine dünne Eisschicht und stehen im Wasser. Kurzer Schockmoment.
Dann klärt uns Joakim auf: Gestern hat es geregnet, weshalb sich viel Wasser auf der dickeren Eisschicht gesammelt hat. Dieses Wasser ist über Nacht nur zum Teil gefroren. Dadurch kann es passieren, dass wir durch eine dünne obere Eisschicht brechen und zwei, drei Zentimeter im Wasser stehen. Aber kein Grund zur Sorge, denn darunter befindet sich eine viel dickere Eisschicht von etwa fünfzehn Zentimetern und die hält.
Es braucht ein wenig Zeit, bis wir erkennen, wo sich diese fürs Iceskating eher ungünstigen Eisschichten befinden. Sobald wir aber den Blick dafür haben, können wir sie umfahren und endlich, endlich über den See sausen.
Mittlerweile hat sich die Sonne über den Horizont geschoben. Wir werfen weite Schatten, als wir unter einem wolkenlosen Himmel dahingleiten. Unter uns knirschendes Eis, wir finden in einen Rhythmus, und dann ist da bald nichts mehr außer die Freiheit.
Iceskating bzw. långfärdsskridskor – Volkssport in Schweden
Von Dezember bis April entwickelt sich das Fahren mit långfärdsskridskor zum absoluten Volkssport in Schweden. An schönen Tagen, wenn das Eis stabil und sicher ist, dann tummeln sich hunderte, manchmal auch tausende auf den Seen. An manchen Orten, wie beispielsweise auf dem See Runn bei Falun, bekommt das Ganze fast ein wenig Volksfeststimmung. Hier sind Bahnen präpariert, es gibt Heißgetränke und Würstchen zu kaufen.
Am Vallentunasee, wo wir fahren, gibt es solche Infrastruktur nicht. Anfangs sind wir die einzigen auf dem See, erst gegen Mittag treffen wir noch auf andere Iceskater.
Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gegend rund um Stockholm nahezu ideal ist fürs Iceskating. Weiter im Norden ist zwar das Eis deutlicher stabiler und dicker, aber es liegt auch mehr Schnee. Daher müssen Bahnen präpariert werden, da es ansonsten mit den Schlittschuhen kein Durchkommen gäbe.
Stockholm: perfekter Spot fürs Iceskating
In Stockholm hingegen hat es oft um die 0 Grad, tagsüber bei Sonnenschein Plusgrade, die das Eis etwas schmelzen lassen, nachts wieder Minusgrade, die es neu gefrieren lassen. So entsteht ständig neues, frisches Eis, das oft spiegelblank und glasklar ist. Und auf solchem Eis ist das Iceskating natürlich ein besonderes Vergnügen.
In Stockholm ist auch der wichtigste und größte Sportclub für långfärdsskridskor ansässig – der SSSK (Stockholms Skridskoseglarklubb) mit über 9000 Mitgliedern. Die Mitglieder dieses Clubs prüfen den ganzen Winter über das Eis der Seen in und um Stockholm, sie führen Touren, bilden aus, geben Karten heraus …
Lasse ist Ausbilder beim SSSK und heute ebenfalls mit uns auf dem Sollentunasee unterwegs. Er schwärmt von den fantastischen Iceskating-Möglichkeiten in Stockholm. Uns bleibt nichts anderes, als ihm zuzustimmen. Denn es ist wirklich fantastisch hier. Wir skaten übers Eis, immer leicht nach vorn gebeugt, die Sonne scheint mittlerweile warm in unser Gesicht, die Kälte ist fort.
Spezielle Schuhe für ein spezielles Vergnügen
Nachdem wir bereits einige Stunden unterwegs sind, landen wir an einer kleinen Landzunge an. Auf dem Eis ziehen wir die Kufen ab und gehen ans Ufer. Das ist recht praktisch an den långfärdsskridskor. Es sind eben keine kompletten Schlittschuhe, bei denen Schuh und Kufe eine Einheit bilden, sondern man schnallt sich die Kufen einfach unter spezielle Schuhe, die man an Land problemlos weitertragen kann.
Joakim macht ein Feuer und wir holen unser Picknick aus dem großen Rucksack, den wir die ganze Zeit auf dem Rücken mitgeschleppt haben. Neben Thermosflasche und einer Brotzeitbox enthält der Rucksack alles Mögliche, was unserer Sicherheit dient: Wechselklamotten, eine Trillerpfeife, ein Eisdorn (zwei Handgriffe mit einem spitzen Dorn, den man im Falle eines Einbruchs ins Eis hacken kann, um sich so herauszuziehen), ein Sicherheitswurfseil usw.
Das Eis trägt nicht überall.
Hier an Land denken wir aber nicht an Sicherheit, sondern an Kaffee und Essen. Und das lassen wir uns schmecken. Wir sitzen im Schnee, das Feuer wärmt ein wenig, die Sonne ebenso. Der Himmel ist nach wie vor strahlend blau. Herrlich.
Es treibt uns aber bald weiter. Wir wollen zurück aufs Eis. Jetzt am Nachmittag donnert es manchmal laut unter uns. Das Eis grummelt, es droht – so klingt es zumindest. Lasse und Joakim erklären uns aber, dass das Donnern ein gutes Zeichen ist, denn das bedeutet, dass das Eis gefriert.
Überall gefroren ist das Eis auf dem See jedoch nicht. Als wir den See queren wollen, um so schneller zum Ausgangspunkt zurückzukehren, geht das nicht, da wir plötzlich am offenen Wasser stehen. Hier wird uns wieder bewusst, wie vor- und umsichtig man beim Iceskating sein muss. Gerade wenn wir gegen die Sonne fahren, erkennen wir die nicht zugefrorenen Stellen erst sehr spät.
Wir kehren also um und fahren den gleichen Weg, den wir gekommen sind, zurück. Ein letztes Mal genießen und gleiten und träumen. Dann sind wir schon wieder beim Steg. Wir schnallen die Kufen ab, klettern an Land, von Kälte schon längst keine Spur mehr.
Es gibt mehrere Anbieter für Iceskating in Stockholm. Die beiden größten sind Stockholm Adventures (Kungsbro Strand 21, Kungsholmen) und The Green Trails Stockholm (Tideliusgatan 62, Södermalm).
Du suchst noch mehr Abenteuer in und um Stockholm? Dann blättere gerne in unser Buch „Stadtabenteuer Stockholm“ rein, das Anfang 2022 im Michael Müller Verlag erschienen ist.