Land und Leute Nordschweden

Die Samen, die schwedische Urbevölkerung

Am 6. Februar feiern die Samen ihren Nationalfeiertag. Der Tag erinnert nicht nur an die Eigenständigkeit der schwedischen Urbevölkerung. Er ist auch Mahnung. Denn der Umgang der Schweden mit den Samen ist wahrlich kein Ruhmesblatt der schwedischen Geschichte – und offenbart bis heute Defizite.

Am 6. Februar 1917 trafen im norwegischen Trondheim Samen aus allen Ländern, in denen die skandinavische Urbevölkerung lebt, zusammen. Dieses erste samische länderübergreifende Treffen ist der Hintergrund für den heutigen Nationalfeiertag der Samen. Und es macht deutlich: Die Identifikation der Samen erfolgt weniger über die Nationalstaaten. Sie fühlen sich vielmehr als Teil von Sápmi, das sich von der russischen Kola-Halbinsel über Finnland, Nordschweden bis nach Nordnorwegen erstreckt.

In diesem Gebiet leben schätzungsweise 80.000 bis 100.000 Angehörige der Samen, etwa 35.000 davon in Schweden. Und das bereits seit mehreren tausend Jahren. Daher zählen sie als Urbevölkerung – der im Lauf der vergangenen Jahrhunderte viel Unrecht zugefügt wurde. Bis heute tut sich insbesondere die schwedische Regierung schwer mit der vollkommenen Gleichstellung der Samen und der Anerkennung ihrer Rechte als Urbevölkerung.

Westeuropäische Gene

Die ersten Samen wanderten wohl kurz nach Ende der letzten Eiszeit, als sich die Gletscher zurückzogen, in Nordschweden ein. Eine letztere größere Einwanderungswelle erfolgte dann vor ca. 2500 bis 3000 Jahren. Von einer geschlossenen ethnischen Gruppe kann in dieser frühen Zeit noch nicht gesprochen werden. Vielmehr fühlten sich die Menschen ihren Stämmen oder Familien zugehörig. Auch kamen die Zuzügler teilweise aus dem Osten, teilweise aus dem Süden. Genetische Proben haben ergeben, dass ihre Wurzeln hauptsächlich westeuropäisch sind. Mit dem sibirischen Volk haben sie keine Gemeinsamkeit, auch wenn das lange Zeit angenommen worden ist. Die Samen als zusammengehörende ethnische Gruppe entwickelt sich erst etwa ab dem Jahr 0, als allmählich eine gemeinsame Sprache und damit verbunden auch eine gemeinsame Kultur entsteht.

Bis heute aber gibt es nicht das Samisch, sondern es existieren viele sehr unterschiedliche Dialekte. Die Sprache, die zur finnisch-ugrischen Sprachfamilie gehört, ist in Norwegen, Schweden und Finnland offiziell anerkannte Minoritätensprache.

Nicht nur Rentierzüchter

Das, was man mit den Samen wohl ganz fest verbindet, ist die Rentierzucht. Richtig dabei ist, dass mehr oder weniger alle Rentierzüchter Samen sind. Umgekehrt bedeutet es aber nicht, dass alle Angehörigen des samischen Volks Rentiere halten. Das war vor mehreren Jahrhunderten nicht so, denn viele Samen versorgten sich beispielsweise als Jäger oder als Fischer. Und es ist auch heute nicht so, wo nur etwa zehn Prozent der Samen Rentierzüchter sind. Die meisten haben ganz „normale“ Jobs, viele im Tourismus.

Das Rentier – für manche, aber längst nicht alle Sami wirtschaftliche Grundlage

Wann genau die Sami begannen, Rentiere zu zähmen und zu halten, ist nicht ganz klar. Der Dunst der Vergangenheit ist ziemlich dicht, wenn es um die samische Geschichte geht. Vor 1000 gibt es so gut wie überhaupt keine Quellen, die etwas über die nordskandinavische Urbevölkerung aussagen, und auch im Mittelalter ist die Quellenlage äußerst dünn. Wenn es dann einmal eine Quelle gibt, wird normalerweise über die Samen berichtet. Schriftliche samische Quellen aus dieser Zeit? Fehlanzeige.

Im Altertum waren die Samen Finnen.

Die erste Nennung eines Volkes, das noch weiter im Norden lebt als sie „svea“, stammt von Tacitus. Er nannte dieses Volk 98 n. Chr. „fenni“. Einige Jahre später, 150 n. Chr., wird es vom griechischen Geografen Ptolemaios „finnoi“ oder „phinnoi“ bezeichnet. Finnen und Samen waren in dieser frühen Zeit als identisch.

Im Jahr 1328 taucht in einer schwedischen Quelle dann das erste Mal das Wort „lapp“ auf. Woher es sich genau ableitet, ist nicht ganz klar. Heute ist ein lapp ein kleiner Stofffetzen oder ein Papierzettel. Es könnte aber auch ein Stück Tierfell oder Tierhaut bezeichnen. Möglich also, dass die „Lappen“ diejenigen waren, bei denen man Tierhäute kaufte. Aber das ist nur eine Theorie. Der etymologische Ursprung ist bis heute nicht gänzlich geklärt.

Samen sind Samen und nicht Lappen.

Klar hingegen ist, dass die Bezeichnung „Lappen“ politisch inkorrekt ist und von den Sami als kolonialistische Fremdbezeichnung abgelehnt wird.

Da kann man noch so lange meinen, dass „Lappe“ doch schon seit Jahrhunderten gesagt wurde und es daher fest eingebürgert sei. Das Problem ist, dass „Lappe“ häufig sehr abwertend, pejorativ verwendet wurde. Vom „lappdjävel“ war oft die Rede, wörtlich übersetzt „Lappenteufel“, treffender vielleicht „Lappendepp“.

„Lappe“ wird daher von vielen Samen als Beleidigung aufgefasst. Und da es bei solchen Diskussionen nicht darum geht, wie der Sprecher etwas meint, sondern immer darum, wie der Empfänger etwas wahrnimmt, ist die Sache klar: Samen sind Samen. Das andere Wort kann man getrost aus dem Wortschatz streichen.

Konflikte mit Kirche und Staat

Als sich der schwedische Staat im ausgehenden Mittelalter immer weiter nach Norden ausdehnte und schwedische Siedler den Küstenstreifen in Besitz nahmen, begannen die Konflikte. Die Kirche wollte die Samen christianisieren und ihnen ihr Schamanentum austreiben. König Gustav Vasa wollte, dass die Samen schwedische Staatsbürger werden – und folgerichtig Steuern zu zahlen hatten.

Als man dann auch noch Silber- und Eisenerz im Inland entdeckte, war es mit dem Frieden endgültig vorbei. Siedler und Arbeiter drangen mehr und mehr in den Lebensraum der Samen ein. Das Land wurde wortwörtlich in Besitz genommen. Für die Samen war dieses Land aber Sommer- und Winterweide für die Rentiere, Land, das man nicht besitzen konnte, das für alle – und vor allem für alle Rentiere – da war. Welten prallten aufeinander.

Lavvu, das typische Zelt der Sami; Foto: Lola Akinmade Åkerström / imagebank.sweden.se

Nationalstaaten ziehen Grenzen und zerteilen den Lebensraum der Samen.

Lange Zeit gehörte Finnland zu Schweden. Auch Norwegen und Schweden bildeten immer wieder Unionen. In diesen Zeiten konnten die Samen problemlos die Grenzen überqueren.

Als dann aber Finnland zu Russland kam und im Jahr 1889 die finnisch-schwedische Grenze dicht gemacht wurde oder als sich Norwegen 1905 aus der Union mit Schweden befreite und sich unabhängig erklärte, wurden die Grenzhindernisse größer. So verbot es Norwegen beispielsweise den schwedischen Sami, ihre Rentiere zur Sommerweide nach Norwegen zu bringen, was diese aber über Jahrhunderte hinweg getan hatten.

Nationalstaaten, denen sich die Samen überhaupt nicht zugehörig fühlten, zerschnitten nun also den Lebensraum der Urbevölkerung.

Herabsetzung der Samen

„Det obehagliga intrycket ökas ytterligare af det vildt flygande håret och af smuts.“

Nordisk familjebok, 1885

„Der unbehagliche Eindruck [der Samen] wird weiter erhöht durch das wilde Haar und durch Schmutz.“

So steht es im Nordisk familjebok aus dem Jahr 1885. Das war ein offizielles Nachschlagewerk, mit dem in Schulen gearbeitet wurde und das bei vielen Familien zuhause im Bücherregal stand. In den Zeilen zuvor werden die Samen in diesem Buch als geizig, misstrauisch, schlecht riechend, schnell alternd und mit einem verkrüppelten Gang gehend beschrieben.

Diese Stereotype und Vorurteile wurden biologisch begründet. Es war die Rede von der „lappras“, also der „Rasse der Lappen“. Die Rassenlehre war in Schweden in den Jahrzehnten vor und nach 1900 weit verbreitet. Heute wissen wir, welch biologischer Quatsch damals behauptet wurde. Damals jedoch glaubten viele daran. Und die „Rasse der Lappen“ sei eben so wie im Nordisk familjebok beschrieben.

Rassismus pur.

  1. Vielen Dank für diesen Überblick!

    Weil sich die Gründung des Schwedischen Instituts für Rassenbiologie gerade zum hundertsten Mal gejährt hat, habe ich für einen Artikel – https://andreas-moser.blog/2022/01/22/eugenik/ – Auszüge aus den „Svenska Folktyper“ von Herman Lundborg gesucht.
    Die darin gezeigten Bilder der Samen, Finnen, Slawen, Roma haben die Vorurteile „verwissenschaftlicht“ und angesichts des Erfolgs des Buches wohl auch weit verbreitet. Das bleibt leider ziemlich lange hängen. :/

    • Hej Andreas!
      Vielen Dank für diesen Link!
      Ja, das ist ein ziemlich dunkler Fleck in der schwedischen Geschichte, dass sich solche rassenbiologische Ansätze ziemlich lange gehalten haben und sie – wie du schreibst – verwissenschaftlicht wurden. Glücklicherweise ist die Wissenschaft schon längst viel weiter. Aber die Stereotype können dennoch noch lange weiterwirken. Leider.
      Ha det så bra!
      /Jo

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