Geschichte

Schweden im Krieg mit Russland – der Große Nordische Krieg

Der Kampf um die deutschen Besitzungen

Während in Finnland der Krieg tobt, müssen sich auch die schwedischen Besitzungen im Heiligen Römischen Reich mehrerer Angriffe erwehren. Hier agieren Dänemark, Russland und Sachsen gemeinsam, aber zunächst gelingt es ihnen nicht, die stark befestigten Städte Stralsund, Stettin und Wismar zu erobern.

Während Bremen-Verden recht zügig erobert wird, hält Stralsund einer langen Belagerung stand. In der südlichen Ostsee dominiert noch immer die schwedische Flotte, sodass sie mehrfach frische Soldaten aus Südschweden übersetzen kann. So setzt 1712 der schwedische Feldmarschall Stenbock mit einem größeren Heer nach Rügen über. Jedoch werden die Transportschiffe anschließend von der dänischen Flotte vernichtet, sodass der Rückweg abgeschnitten ist.

Das Heer zieht nach Stralsund, wo dadurch die erneute Belagerung abgebrochen werden muss. Die Stadt kann ein so großes Heer aber nicht versorgen, weshalb Stenbock gezwungen ist, nach Holstein zu ziehen. Zunächst schlägt in der Schlacht bei Gadebusch die Dänen und Sachsen vernichtend, dann lässt er Altona niederbrennen, schließlich muss er sich bei Tönning aber geschlagen gegeben.

Als auch noch Hannover und Preußen unter König Friedrich Wilhelm I. in den Krieg gegen Schweden eintreten, wird die Lage immer prekärer. 1714 ist ganz Schwedisch-Pommern besetzt. Nur Stralsund und Wismar halten sich noch.

Gemacht für Legenden: der Gewaltritt des schwedischen Königs

Dies ist richtige Zeitpunkt, um den Blick wieder Richtung Südosten zu wenden, ins Osmanische Reich, wo König Karl XII noch immer im Exil festsitzt. Mehrmals versucht er vergeblich, den Sultan zu einem Krieg gegen Russland zu bewegen. 1714 beschließt er, wieder nach Schweden zurückzukehren. Aber der Weg ist nicht ungefährlich. Durch Polen, Sachsen und Preußen kann er nicht. Zu groß ist die Gefahr, dass er unterwegs gekidnappt wird. Er wählt den Weg über Siebenbürgen, Ungarn, Bayern, dann weiter über Frankfurt, Kassel nach Stralsund.

Am 27. Oktober 1714 bricht er mit kleinem Gefolge auf. Am 11. November erreicht er Stralsund. 2150 Kilometer in zwei Wochen – wahrlich ein Gewaltmarsch.

Aber die Rückkehr des Königs führt nicht zu einer Kriegswende. Stralsund wird 1715 belagert und beschossen. Karl gelingt gerade noch die Flucht übers Meer nach Südschweden. Ein Tag später, am 13. Dezember, kapituliert Stralsund. Wenige Monate später gibt auch Wismar auf. Damit sind die schwedischen Besitzungen im heutigen Deutschland verloren.

Krieg gegen Norwegen und kein Friede in Sicht

Karl XII kehrt nicht nach Stockholm zurück, sondern richtet sein Hauptquartier in Lund ein. Die Lage Schwedens ist alles andere als gut. Für Karl aber kein Grund, den Krieg zu beenden. Oder vielleicht ist gerade die miserable Lage der Grund, den Krieg nicht zu beenden. Denn würde er jetzt Friedensverhandlungen eingehen, müsste er wohl mit mehreren Kriegsgegnern sehr unvorteilhafte Friedensschlüsse unterschreiben.

Also gilt es, einen Kriegsgegner auszuschalten: Dänemark. Karl plant, durch einen Angriff auf Norwegen, das zu Dänemark gehört, seinen Gegner so zu schwächen, dass er aus dem Krieg ausscheidet. Doch die Unternehmungen wirken nun immer desperater. Der Kriegszug gegen Norwegen 1716 scheitert am massiven Widerstand der Norweger und der mangelnden Versorgung des Heers.

Indes gibt es neue Hoffnung für Schweden. Denn die gegnerische Allianz beginnt zu bröckeln.

Friedensverhandlungen und ein letzter Zug gen Norwegen

Die großen Seemächte Niederlande, Dänemark, vor allem aber England erkennen sehr wohl, wie sich die Kräfteverhältnisse im Ostseeraum gerade verschieben. Und sie fürchten eine russische Dominanz. Auf der anderen Seite bindet sich Preußen stärker an Russland.

Schweden verhandelt mit beiden Seiten über einen Frieden. Wie ernsthaft diese Bemühungen wirklich sind, darüber sind sich die Historiker uneins. Vielleicht will Karl nur Zeit gewinnen, um ein Heer auszuheben, mit dem er gegen Norwegen ziehen kann.

Denn das ist sein nächster Schritt. Mit 40 000 Mann greift er erneut Norwegen an. Eine kleinere Armee zieht im Norden nach Trondheim. Er selbst will das Hauptheer nach Kristiania, das heutige Oslo, führen. Unterwegs belagert er die Festung Fredriksten bei Halden an der Grenze zwischen Schweden und Norwegen. Die Belagerung zieht sich in die Länge, allerdings scheint sie erfolgreich zu werden.

Aber dann kommt der zweite Wendepunkt. Nach der Schlacht bei Poltawa die zweite richtungsweisende Entscheidung.

Eine Kugel gegen den König

Es ist der 30. November 1718. Karl XII nähert sich der belagerten Festung etwas zu sehr, sodass er in die Reichweite der Schützen gelangt. Ein Schuss kracht und Karl sinkt tödlich getroffen zusammen. Eine Kugel durchschlägt beide Schläfen. Karl ist sofort tot.

Der König, der sich 18 Jahre seiner insgesamt 21 Jahre langen Regierungszeit im Krieg befand, findet den Tod auf dem Schlachtfeld. Er stirbt mit gerade einmal 36 Jahren und kinderlos.

Karl ist eine faszinierende Gestalt. Von Anfang an erscheint er extrem zielstrebig und lehrt alle, die glauben, er sei zu jung, zu unerfahren und daher ein leichter Gegner, eines Besseren. Karl ist bei vielen wichtigen Schlachten des Großen Nordischen Kriegs zugegen. Meistens mitten im Kampfgeschehen. Er watete bei Humlebaek in Dänemark mit an Land, als die Schweden 1700 Dänemark besiegten. Er war beim großen Sieg über die Russen bei Narva dabei, aber auch bei der katastrophalen Niederlage gegen den Zaren bei Poltawa. Er befand sich über Jahre im Exil im Osmanischen Reich, gelangte in einem abenteuerlichen Gewaltritt schließlich zu seinen Truppen zurück. Oft war er siegreich, aber er führte Schweden auch in die Niederlage, da er nicht gewillt war, Kompromisse und ernsthafte Friedensverhandlungen einzugehen. So zog er den Krieg mehr und mehr in die Länge. Den Krieg, den er selbst nicht überlebte.

Karl XII ist daher ein König, an dem sich die Geister scheiden.

Stark glorifiziert: Der Leichnam des schwedischen Königs wird in die Heimat überführt; Gemälde von Gustaf Cederström (1884)

Todesmarsch durchs norwegische Gebirge

Als er stirbt, wird die Belagerung der Festung Fredriksten abgebrochen. Auch das Heer weiter im Norden zieht sich zurück, als es von Karls Tod erfährt. Doch es muss mitten im Winter durch das norwegische Gebirge. Dabei gerät es in einen schlimmen Schneesturm. Die Hälfte des Heeres, ungefähr 3000 Mann, überlebt diesen Marsch nicht.

Karls Nachfolge tritt seine Schwester Ulrika Eleonora an. Sie erhält aber erst die Zustimmung des hohen Adels, als sie der Abschaffung des absolutistischen Monarchie zustimmt. Die Legislative, also die Gesetzgebung, soll dem Reichstag übertragen werden. Karls Schwester verzichtet alsbald aber auf den Thron zugunsten ihres Mannes, Fredrik – oder Friedrich – von Hessen-Kassel, der im März 1720 zum König gewählt wird.

Während dieser Zeit kann Schweden militärisch nichts bewegen. Es gibt Friedensverhandlungen mit den unterschiedlichen Mächten und auch die ersten Friedensschlüsse. Auch mit Russland gibt es Verhandlungen. Doch die neue Ostseemacht nutzt seine Seestärke aus, um die Position Schwedens in den Verhandlungen zu schwächen.

Schwedische Städte werden niedergebrannt.

Ab 1719 segelt die russische Flotte an der schwedischen Küste entlang, schießt Städte in Brand, zerstört und verheert. 1719 werden die Schären vor Stockholm verwüstet, ein Angriff auf Stockholm misslingt aber. Anschließend gehen Södertälje, Trosa, Nyköping und Norrköping in Flammen auf. 1720 ist Umeå an der Reihe. Doch der schwedischen Flotte gelingt es, in einer verlustreichen Schlacht viele russische Schiffe zu versenken. 1721 segelt die neu aufgebaute russische Flotte aber ein weiteres Mal gen Schweden, legt Söderhamn, Hudiksvall, Sundsvall, Härnösand, Piteå und erneut Umeå in Schutt und Asche. Bei Selånger in der Nähe von Sundsvall kommt es im Sommer 1721 zur letzten Schlacht und zum letzten russischen Sieg im Großen Nordischen Krieg.

Am 30. August 1721 wird endlich der Frieden von Nystad zwischen Schweden und Russland unterzeichnet. Schweden muss Ingermanland, Estland, Livland und das Gebiet um Vyborg an Russland abtreten, erhält aber Finnland zurück.

In zuvor geschlossenen Friedensverträgen muss es zudem Bremen-Verden an Hannover abtreten und das südliche Vorpommern an Preußen. Wismar, Rügen und das Gebiet um Stralsund verbleiben hingegen bei Schweden.

Die Neuordnung des Ostseeraums

Schweden verliert damit seinen Status als Großmacht. Die neue Kraft im Ostseeraum ist Russland. Für Estland und Livland (also das heutige Lettland) beginnt die Zeit unter russischer Herrschaft. Der sächsische Fürst August kann zwar wieder die polnische Krone aufs Haupt setzen, was für ihn persönlich ein Sieg ist. Polen-Litauen selbst, in dem jahrelang erbittert Krieg geführt wurde, ist jedoch in weiten Teilen zerstört und gerät immer mehr in russische Abhängigkeit. Als neue Kraft erscheint Preußen auf der politischen Landkarte.

Der Große Nordische Krieg hat den Ostseeraum damit neu gestaltet – zugunsten Russlands, zuungunsten Schwedens. Für Schweden ist der Krieg aber nicht nur deswegen eine Katastrophe. Man geht davon aus, dass während des Kriegs etwa ein Viertel bis ein Drittel der Männer im Alter von 18 bis 40 Jahren gefallen oder in Kriegsgefangenschaft geraten ist. Auf 5 Frauen kommen nur noch 3 Männer.

Tragödie für Finnland

Finnland hat gar 16 Prozent der gesamten Bevölkerung eingebüßt. Für Finnland beginnt mit dem Großen Nordischen Krieg ohnehin eine wechselvolle Geschichte. Noch etwa 90 Jahre verbleibt es bei Schweden, dann wird es von Russland einverleibt. 1917 kann es sich unabhängig erklären, wird während des Zweiten Weltkriegs im sogenannten Winterkrieg aber erneut von der Sowjetunion angegriffen und muss Karelien abtreten.

Es ist also nicht ganz unverständlich, dass heute – in Zeiten putinscher Aggressionen – Sorgen in Finnland wach werden. Niklas Ekdal, Redakteur bei Dagens Nyheter, schreibt, Putin sei wie die Reinkarnation bedrohlicher Zaren. Und so wirken die Erinnerungen an den Großen Nordischen Krieg und alle Kriege, die danach folgten, nach. Von den Veränderungen auf der politischen Landkarte ganz zu schweigen.

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