Geschichte

Schweden im Krieg mit Russland – der Große Nordische Krieg

Ein kriegslüsterner König und manche Spekulationen

Hätte Karl XII den weiteren Krieg mit Russland gesucht, hätte er versucht, den Zaren, Peter den Großen, zu einem Frieden zu zwingen – was in der jetzigen Situation sicherlich möglich gewesen wäre –, dann wäre der Krieg wohl anders verlaufen. Vielleicht wäre dann 1703 kein Sankt Petersburg aus dem sumpfigen Newa-Delta gestemmt worden.

Konjunktiv. Spekulation.

Die Realität sind anders aus. Denn der schwedische König entscheidet sich 1701 dafür, nun gegen August den Starken zu ziehen und ihn vom polnischen Thron zu stoßen. Wohl war dies ein entscheidender Fehler, zumindest sind viele Historiker dieser Ansicht. Denn so konnte Peter der Große sein Heer neu aufbauen und in Livland und Ingermanland relativ ungestört neue Angriffe starten.

Wir kennen Karls Motive nicht. Es gibt lediglich Vermutungen, warum er sich so entscheidet. Zum einen unterschätzt er offensichtlich den Zaren und dessen Fähigkeit, schnell ein neues Heer auszuheben. Zum anderen hegt er wohl einen persönlichen Groll gegen August den Starken. Der sächsische Kurfürst, eigentlich wie die Schweden protestantisch, war zum Katholizismus gewechselt, da er nur so den polnischen Thron besteigen konnte. Außerdem plant Karl XII wohl, jemanden auf den polnischen Thron zu verhelfen, der Schweden freundlich gesinnt ist. Würde dies glücken, könnten sich Schweden und Polen verbünden, dann wäre die schwedische Vormachtstellung im Ostseeraum zementiert und die beiden Mächte könnten ein starkes Gegengewicht zum aufstrebenden Russland stellen.

Karl XII
Karl XII., schwedischer König von 1697-1718; Gemälde von David von Krafft (1707)

Der Krieg verlagert sich nach Polen.

Den Schweden gelingt es, bei Düna in der Nähe von Riga, die sächsischen Truppen zum Rückzug zu bewegen, aber nicht, sie entscheidend zu schlagen. Daraufhin zieht Karl XII weiter Richtung Süden und fällt in Polen ein. In den kommenden Jahren durchzieht er mehr oder weniger das gesamte polnische Territorium, schlägt die Sachsen und Polen, die von Russland unterstützt werden, mehrfach, zum Beispiel in der Schlacht bei Klissow, wo die Kriegskasse des sächsischen Kurfürsten erbeutet wird, und bei Thorn. Er besetzt Warschau und Krakau und sogar Lemberg in der heutigen Ukraine. Friedenangebote lehnt der siegreiche schwedische König ab. Er will August den Starken stürzen und einen neuen polnischen König auf dem Thron sehen.

Auch hier ein erneuter Auftritt des Konjunktivs: Hätte Karl XII früher mit August dem Starken Frieden geschlossen und diesen auf dem polnischen Thron belassen, hätte er sich schneller wieder Estland, Livland und dem Ingermanland zuwenden können, die in der Zwischenzeit von russischen Truppen heimgesucht werden.

Ein polnischer König nach Karls Willen

Zwar ist der Schwedenkönig in Polen erfolgreich, aber das kostet ihn entscheidende Zeit. 1704 gelingt es ihm, dass unter dem Schutz der schwedischen Truppen in Warschau – gegen den Willen der Mehrheit des polnischen Adels – ein neuer, schwedenfreundlicher König gewählt wird: Stanislaus Leszczynski.

August der Starke will die Krönung, die für das Jahr 1705 vorgesehen ist, natürlich unterbinden. Mit russischer Unterstützung stellt er ein neues, großes Heer auf. Am 31. Juli 1705 trifft es bei Rakowitz, unweit von Warschau, auf das fünfmal kleinere schwedische Heer – und wird vernichtend geschlagen. Damit steht der Krönung des neuen polnischen Königs nichts mehr im Wege.

Sieg über die Sachsen

Stanislaus Leszczynski schließt mit Schweden Frieden. Sachsen bleibt aber im Krieg. 1706 zieht Karl XII gegen Grodno im heutigen Belarus, um dort August den Starken zu stellen, während ein anderes schwedisches Heer unter der Führung von Rehnskiöld Richtung Sachsen zieht. Dort kommt es im Februar 1706 zur Schlacht bei Fraustadt, die für die Sachsen ein Fiasko wird, obwohl sie doppelt so viele Soldaten ins Feld führen. 7500 sächsische Soldaten fallen, ebenso viele geraten in Kriegsgefangenschaft. Karl XII kann durch diesen Sieg ins Kurfürstentum Sachsen einfallen und so August zum Frieden zwingen. Im Altranstädter Friedensschluss verzichtet August „auf immer“ auf den polnischen Thron. Er ist nun nicht mehr König, sondern „nur“ noch Landesfürst. Ein Abstieg, der einer Demütigung gleichkommt.

Gegner Karls XII: Goldene Statue Augusts des Starken in Dresden

Warum die Schweden größere Heere besiegen.

Mehrfach ist es nun schon vorgekommen, dass eine zahlenmäßig deutlich unterlegene schwedische Armee eine größere schlagen konnte. Das hat damit zu tun, wie das schwedische Heer ausgehoben und trainiert wurde. Grundlage ist das sog. indelningsverket. Jeder schwedische Län muss 1200 Soldaten stellen. Mehrere Bauernhöfe, meist zwei bis fünf, schließen sich zur sog. rote zusammen. Jede rote stellt einen Soldaten. Meist ist das ein Sohn eines Bauern oder ein Knecht. Dieser bekommt ein kleines Haus, ein torp, zugewiesen, etwas Saatgut und ein Gehalt. Die Bauern kommen also für „ihren“ Soldaten auf. Mehrfach pro Jahr, oft auch einmal pro Woche trainieren die Soldaten oder müssen an Manövern teilnehmen. Sie sind also geübt und kennen ihre Vorgesetzten. Außerdem muss das Heer nicht erst langwierig durch Anwerbung ausgehoben werden. Gerade in der Anfangszeit des Kriegs macht sich dieses System bezahlt.

Aber es gerät mehr und mehr an seine Grenzen. Denn das Heer ist dadurch nach oben limitiert. Als die Kriegsschauplätze immer mehr werden und zugleich erobertes Gebiet gesichert werden muss, reichen die Soldaten nicht mehr aus. Auch können große Niederlagen nur schwer verwunden werden.

Aber so weit ist es noch nicht. Denn aktuell befindet sich der schwedische König Karl XII auf dem Höhepunkt seiner Macht.

Der Große Nordische Krieg geht weiter.

Der König kann sich nun – nachdem mit Dänemark und Sachsen zwei der drei Kriegstreiber ausgeschieden sind – wieder gegen Russland wenden, das in der Zwischenzeit in Ingermanland, Estland und Livland Fakten geschaffen hat. Die schwedische Hauptarmee war über mehrere Jahre in Polen gebunden. Die verbliebenen schwedischen Kräfte waren zu schwach, um dem russischen Heer ernsthaft etwas entgegenzusetzen. Sankt Petersburg ist bereits eine ansehnliche Festung. 1704 wird auf einer Insel, die Sankt Petersburg vorgelagert ist, die Festung Kronstadt erbaut. Damit sichert sich der Zar den Ostseezugang. Mit Nachdruck lässt er eine Flotte aufbauen. Bereits 1704 umfasst die russische Ostseeflotte 40 Kriegsschiffe. Mehrere schwedische Angriffe auf Kronstadt und Sankt Petersburg werden zurückgeschlagen.

Erneut lehnt Karl XII russische Friedensangebote ab. Der Zar wäre wohl damit zufrieden gewesen, wenn er Ingermanland und das neu gegründete Sankt Petersburg behalten hätte können. Dann wären Estland und Livland weiter schwedisch geblieben.

Erneut: der Konjunktiv.

Denn der schwedische König lehnt alle Friedensgespräche ab und so geht der Große Nordische Krieg weiter.

Die Wende: der Russlandfeldzug

Der kriegslüsterne Karl XII. begibt sich auf den Russlandfeldzug. Die entscheidende Kriegswende rückt näher.

In den Jahren 1707/08 zieht Karl mit einem großen, etwa 40 000 Mann starken, und ausgeruhten Heer nach Osten. Sein Ziel: Moskau. Aber wie nach ihm auch Napoleon und Hitler unterschätzt er die russischen Weiten und vor allem den Winter. Die russische Armee weicht einem großen Gefecht aus und zieht sich immer weiter zurück. Dabei folgt sie der Strategie der verbrannten Erde. Brunnen werden vergiftet, Lagerbestände vernichtet, Dörfer zerstört und so die Versorgung des schwedischen Heeres erschwert. Hin und wieder erfolgen kleinere Scharmützel, die aber nie kriegsentscheidend sind.

Im Herbst 1708 erkennt Karl, dass er Moskau so nicht erreichen kann. Er weicht nach Süden in die heutige Ukraine aus, wo er hofft, dass er seine Armee besser versorgen kann. Zugleich gelingt es dem russischen Zaren, ein nachrückendes schwedisches Versorgungsheer mehr oder weniger komplett zu vernichten. Die Lage für Karl und seine Schweden wird immer prekärer. Der Winter 1708/09 ist einer der kältesten des Jahrhunderts. Er setzt den Schweden massiv zu. Viele verhungern oder erfrieren.

Unterstützung findet Karl in den Saporoger Kosaken, die sich mittlerweile gegen den Zaren gestellt haben.

Die Katastrophe von Poltawa

Im Frühjahr 1709 belagert Karl die Stadt Poltawa, in der heutigen Ukraine zwischen Kiew und Charkow gelegen. Die Stadt ist ein Nachschublager mit großen Vorräten an Schießpulver und Nahrung. Karl hofft auf eine schnelle Belagerung und Kapitulation der Stadt. Aber das Kriegsglück hat ihn verlassen.

Die Stadt hält der Belagerung stand und ein großes russisches Heer eilt zu Hilfe. Vor den Toren der Stadt kommt es zur Schlacht, die für die Schweden in einer Katastrophe endet. Etwa 10 000 Schweden fallen, etliche geraten in russische Kriegsgefangenschaft. Die verbliebenen 15 000 Soldaten flüchten Richtung Süden. Die Hoffnung Karls ist, über osmanisches Gebiet irgendwie zurück nach Polen zu gelangen.

Am Fluss Dnjepr angekommen, müssen sie aber feststellen, dass es weder eine Furt noch Brücken gibt, um den Fluss zu überqueren. Die vorhandenen Boote reichen nicht aus, um das gesamte Heer überzusetzen. Und die Russen unter Zar Peter I. rücken nach.

Die Schweden entscheiden, dass ihr König Karl zusammen mit den Verwundeten und ein paar hundert schwedischen Soldaten sowie 2000 Kosaken übersetzen, während das restliche Heer am nächsten Tag aufbrechen und eine Furt suchen will. Doch dazu kommt es nicht mehr.

Erinnerungsmünzen an die Schlacht bei Poltawa (Der Große Nordische Krieg)
Russische Münzen als Erinnerung an den Sieg über die Schweden bei Poltawa

Ein schwedischer König im osmanischen Exil

Denn am nächsten Morgen erreichen russische Dragoner das zurückgebliebene Heer. General Lewenhaupt leitet sofort Verhandlungen über eine Kapitulation ein. Die Moral im schwedischen Heer ist mittlerweile so schlecht und die Versorgung derart miserabel, dass ein erneuter Kampf aussichtslos erscheint. Tausende Schweden geraten in Kriegsgefangenschaft.

Karl und sein verbliebener Trupp kann sich an den Fluss Bug retten, sie werden dort aber zwei Tage aufgehalten, bis sie die Erlaubnis erhalten, ins Osmanische Reich zu marschieren. Für die 600 Mann starke Nachhut sind diese zwei Tage zu viel. Ehe sie den Fluss überqueren können, werden sie von russischen Verfolgern niedergemacht.

Die schwedische Niederlage ist total. Das gesamte Heer des Russlandfeldzugs ist vernichtet. Der schwedische König sitzt fernab der Heimat im Osmanischen Reich im Exil. Die Schlacht bei Poltawa bedeutet damit die entscheidende Wende im Krieg.

Die früheren Kriegsmächte Russland, Dänemark und Sachsen erneuern ihre Allianz. Der sächsische Fürst August der Starke kündigt den Frieden von Altranstädt auf. Russische Truppen marschieren in Polen ein und die wenigen schwedischen müssen sich nach Vorpommern, vor allem nach Stettin und Stralsund, zurückziehen. Der polnische Marionettenkönig Stanislaw Leszczynski flieht nach Stockholm. Karl XII hat die Initiative komplett verloren. Dennoch lehnt er im Exil im Osmanischen Reich weiterhin Friedensverhandlungen ab.

Schweden in der Defensive

Die Allianz gegen Schweden plant nun den Einmarsch ins schwedische Kernland bis nach Stockholm. Russland greift über Finnland an und will über die Åland-Inseln auf Stockholm vorrücken. Von Süden sollen die Dänen einmarschieren. Im Winter 1709/1710 landen dänische Truppen in Skåne. Ihr Ziel: Karlskrona, wo die Hauptbasis der schwedischen Flotte ist.

Hektisch ziehen die Schweden unter Magnus Stenbock ein Heer zusammen und greifen das eroberte Helsingborg an. Dadurch wollen sie die Nachschublinie der Dänen abschneiden. Helsingborg wird belagert und im März 1710 ziehen sich die Dänen wieder nach Dänemark zurück. Der Plan, ins schwedische Kernland von Süden aus einzumarschieren, ist damit gescheitert.

Ganz anders sieht es aber im Nordosten, in Finnland, aus. Die Russen erobern im Handstreich Estland und Livland. Riga fällt und alle wichtigen Festungen. Zar Peter I. ernennt Sankt Petersburg zu seiner neuen Hauptstadt und legt ein massives Flottenbauprogramm auf.

Zunächst wird er aber abgelenkt, da ihm das Osmanische Reich den Krieg erklärt. Zwar erleidet Peter der Große hier eine Niederlage, er kann aber rasch einen Frieden schließen und sich so wieder der Ostsee zuwenden.

Peter der Große
Peter der Große, einer der Gewinner des Großen Nordischen Kriegs

Finnland wird Opfer des Kriegs.

1713 und 1714 greift das russische Heer – und dabei vor allem die hochgerüstete Flotte – Finnland an. Die schwedische Gegenwehr ist nicht allzu groß. Am 2. März 1714 treffen schwedische und russische Verbände in der Nähe von Vaasa in Österbotten aufeinander. Die Schlacht bei Storkyro verlieren die Schweden – und damit auch die Kontrolle über Finnland, das von nun an bis zum Kriegsende unter russischer Kontrolle bleibt.

Als in der Seeschlacht bei Hanko im Sommer 1714 auch noch die schwedische Flotte geschlagen wird, befindet sich Schweden vollständig in der Defensive. Russland nimmt die Åland-Inseln praktisch ohne Gegenwehr ein. Plötzlich sind auch Angriffe auf die schwedische Küste und sogar auf Stockholm möglich. Erstes Opfer wird Umeå, das im Herbst angegriffen und niedergebrannt wird. Ein Schicksal, das in den kommenden Jahren noch viele weitere schwedische Küstenstädte ereilen wird.

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