Geschichte

Schweden im Krieg mit Russland – der Große Nordische Krieg

Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine verändern sich Gewissheiten. Ein Angriffskrieg in Europa ist – lange vollkommen undenkbar – Realität geworden. Die baltischen Staaten sorgen sich um die eigene Sicherheit angesichts der russischen Aggression. Und in Finnland und Schweden wird plötzlich ein Beitritt zur NATO populär, obwohl beide Länder lange Zeit ganz bewusst militärisch neutral gewesen sind. Russische Kampfjets dringen in den schwedischen Luftraum ein – eine Warnung, eine Drohung. Dass es tatsächlich zu Kampfhandlungen zwischen Schweden und Russland kommt, ist aber sehr unwahrscheinlich. Ganz anders zwischen den Jahren 1700 und 1721: Der Große Nordische Krieg verändert die Karte des Nordens grundlegend – mit weitreichenden Folgen für Schweden, Russland, Finnland und das Baltikum.

1703: Inmitten der sumpfigen, schlammigen Landschaft, dort, wo die Newa in die Ostsee mündet, wird eine Stadt aus dem Nichts erhoben. Zar Peter der Große ist höchstpersönlich angereist. Dieses Projekt liegt ihm ganz besonders am Herzen. Er weiht die Stadt dem heiligen Petrus. Praktisch, dass der Zar denselben Namen wie der Heilige trägt und so Sankt Petersburg nicht nur an den Namenspatron, sondern vor allem an den Gründer der Stadt erinnert.

Heute ist Sankt Petersburg einer der größten Städte Europas. Eine glanzvolle Metropole der Kunst und Kultur mit der Eremitage in ihrem Zentrum. Zar Peter der Große hat dies von Anfang an im Sinn. 1703 ist davon aber noch nichts zu spüren.

Auf Knochen erbaut

Unter erbärmlichsten Bedingungen heben entlaufene Bauern, Deserteure, Sträflinge und schwedische Kriegsgefangene die Fundamente einer ersten Festung und der Peter-und-Paul-Kirche aus. Unzählige sterben entkräftet. Später wird man sagen, die Stadt sei „auf Knochen erbaut“.

Peter und Paul in Sankt Petersburg
Die Festung Peter und Paul in Sankt Petersburg

Ob die Stadt beziehungsweise die Festung aber überhaupt überleben wird, ist zu diesem Zeitpunkt völlig ungewiss. Denn noch wenige Monate zuvor gehört die Region zwischen Ostsee und Ladogasee – das sogenannte Ingermanland – zu Schweden. Doch Peter der Große will unbedingt den Zugang Russlands zur Ostsee. Daher will er diesen Ort mit allen Mitteln verteidigen.

Damit sind wir bei einem der zentralen Motive für den Großen Nordischen Krieg, der Nord- und weite Teile Osteuropas zwischen 1700 und 1721 gehörig durcheinander wirbelt: Russland will sich stärker nach Westen orientieren, will eine Macht in Europa sein. Dazu braucht es zwingend einen Zugang zur Ostsee.

Der Große Nordische Krieg – die Länder rund um die Ostsee

Aber die Ursachen des Großen Nordischen Kriegs sind deutlich komplexer. Springen wir also ein paar Jahre in der Zeit zurück und betrachten uns zunächst einmal Nordeuropa Ende des 17. Jahrhunderts.

Seit dem Dreißigjährigen Krieg ist Schweden europäische Großmacht. Finnland gehört schon seit langem zu Schweden, ebenso Estland. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts kann sich Schweden auch Karelien, Livland (ungefähr das heutige Lettland) und eben Ingermanland einverleiben. Gustav II Adolf erobert im Dreißigjährigen Krieg Vorpommern, im Westfälischen Frieden 1648 bekommt Schweden auch noch Wismar und Bremen-Verden zugesprochen.

Der Große Nordische Krieg - Schweden vor dem Krieg
Schwedische Erwerbungen vor dem Ausbruch des Kriegs; Karte: Memnon335bc, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ortus-imperii-suecorum.png, Lizenz: CC Attribution 3.0 Unported; keine Änderungen vorgenommen

Der Ostseeraum ist im 17. Jahrhundert geprägt vom Kampf um die Vorherrschaft in der Ostsee: Auf der einen Seite steht das expandierende Schweden, auf der anderen Seite Dänemark, zu dem auch Norwegen gehört. Immer wieder bekämpfen sich die beiden Reiche. 1645 erobert Schweden die dänischen Provinzen Halland, Gotland und Jämtland, im ersten Nordischen Krieg, der mit dem Frieden von Roskilde 1658 ein Ende nimmt, auch noch Skåne und Bohuslän.

Ein riesiges Reich ist entstanden. Das allerdings auf wackligen Füßen steht. Denn die Bevölkerungszahl ist gering und die Armee nicht groß genug, das gewaltige Gebiet dauerhaft zu verteidigen.

Drei gegen die Großmacht

Dänemark hat große Rachegelüste und will verlorenes Gebiet wieder zurückgewinnen. 1699 verbündet es sich daher mit Russland sowie mit Sachsen und Polen-Litauen, die beide unter August dem Starken vereint sind. Ziel der drei Verbündeten ist es, die schwedische Vorherrschaft im Ostseeraum zu brechen.

Der Zeitpunkt scheint günstig. 1697 hat der junge schwedische König Karl XII den Thron bestiegen – mit gerade einmal 15 Jahren. Wird sich ein Jugendlicher gegen eine solche Dreierallianz behaupten können?

Nun, sagen wir es so: Der dänische König verkalkuliert sich.

Der Große Nordische Krieg beginnt am 12. Februar 1700 mit dem Überraschungsangriff von August dem Starken auf Riga – zu dieser Zeit Schwedens größte Stadt. Am 20. März erhält Karl XII, noch nicht mal 18 Jahre alt, die Nachricht, dass Dänemark das Herzogtum Holstein-Gottorp angreift. Der dortige Herzog ist Karls Schwager; beide sind eng verbündet. Entgegen der Ratschläge seiner Kanzlei wendet sich der Schwedenkönig zunächst fast ausschließlich Dänemark zu. Am 13. April verlässt er Stockholm. Er wird nie wieder zurückkehren.

Rascher Sieg gegen die Dänen

Unterstützt von England und den Niederlanden marschiert Karl XII nicht in Holstein ein, wo das dänische Hauptheer steht, sondern er wendet sich direkt gegen Kopenhagen, woraufhin der dänische König sich auf einen Friedensschluss einlassen muss. Mit dem Frieden von Treventhal am 18. August muss er sich aus Holstein-Gottorp zurückziehen und aus dem Krieg ausscheiden.

Die dänischen Kriegsziele sind damit schon nach wenigen Monaten gescheitert. Die Schweden unter Karl XII. können sich nun den Gebieten östlich der Ostsee zuwenden. Die polnisch-sächsische Belagerung Rigas ist nicht erfolgreich gewesen. Es sieht also gut aus für die Schweden.

Der Große Nordische Krieg: Schweden gegen Russland

Da tritt der Dritte im Bunde in den Krieg ein: Peter I., der Große, und damit Russland. Eigentlich hätte er sich schon früher in den Krieg einmischen sollen, aber da er gerade erst einen Krieg mit dem Osmanischen Reich geführt hat und die Friedensverhandlungen abwarten will, verzögert sich sein Kriegseintritt. Nun, am 19. August – einen Tag nach dem Frieden von Treventhal –, erklärt er Schweden den Krieg. Manche sagen, der Zar wäre nie in den Krieg eingetreten, hätte er gewusst, dass Dänemark einen Tag zuvor bereits wieder ausgetreten war. Aber in der damaligen Zeit dauert es etwas länger, bis solche Nachrichten weitergetragen werden.

Viele tausend Soldaten hat der Zar zusammengezogen. Unterstützt wird er von etwa 10.000 Soldaten des Saporoger Kosakenheeres. Diese stammen aus dem sogenannten Hetmanat, dem Reich der Kosaken, das sich zu dieser Zeit auf dem Boden der heutigen Ukraine befindet. Dieses Heer zieht nun im Herbst 1700 gegen Narva in Estland und belagert diese Stadt.

Der Große Nordische Krieg: Schlacht bei Narva
Festung in Narva in Estland

Der Sieg bei Narva in Estland

Unterdessen trotzt Karl XII. den herbstlichen Stürmen auf der Ostsee. Er verliert zwar einige Schiffe, schafft es aber dennoch, ein größeres Heer über die Ostsee zu bringen. Dort erfährt er, dass Riga erfolgreich verteidigt werden konnte, weshalb er sich gegen die Russen wendet. Im November zieht er von Reval nach Narva, durch winterlich-kaltes Wetter und fast ohne Nachschub. Die Truppen sind entkräftet. Dennoch gelingt ihnen in der Schlacht bei Narva ein überwältigender Sieg gegen das zahlenmäßig deutlich überlegene russische Heer, das sich nahezu komplett auflöst.

Der schwedische Sieg bei Narva; Gemälde von Gustaf Cederström (1912)

Die eigenen Truppen sind aber zu geschwächt, als dass sie den fliehenden Russen hinterhersetzen und diese endgültig besiegen hätten können. So geht das schwedische Heer ins Winterlager.

Der 18jährige König Schwedens kann zufrieden sein. Alle Angriffe hat er siegreich abwehren können.

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