2012 ermittelte Kommissar Gunnar Barbarotti zum letzten Mal im fiktiven Ort Kymlinge an der schwedischen Westküste. 10 Jahre ist es her, dass der legendäre Kommissar Van Veeteren aus Maardam in Pension gegangen ist. Im neuesten Buch aus der Feder von Håkan Nesser, „De vänsterhäntas förening“, treten sie endlich wieder auf – und zum ersten Mal treffen sie aufeinander. Nicht nur deswegen ist Nessers Neuling ein meisterliches Werk.
In „De vänsterhäntas förening“ („Der Verein der Linkshänder“) wandert der Leser zwischen den Zeiten. Die Erzählung springt zwischen drei Zeitpunkten hin und her:
In den späten 1960er Jahren gründen ein paar mehr oder weniger angesagte Jugendliche im kleinen Ort Oesterby in der Nähe von Maardam den Verein der Linkshänder. Zu dieser Zeit versucht man noch, Linkshänder mit wenig pädagogischen Maßnahmen zum Rechtshändertum umzuerziehen. Die Erniedrigungen, die die Linkshänder erleiden müssen, schweißen zusammen. Also gründen sie einen Verein. Mit Folgen …
Eine niedergebrannte Pension, vier Tote und etwas Abgründiges
1991 brennt ganz in der Nähe von Oesterby eine Pension nieder. Vier Menschen kommen dabei ums Leben. Vier Linkshänder, die sich hier zu einer Art Wiedersehenstreffen versammelt haben. Der Täter wird rasch ermittelt, jedoch nie gefasst. Zugleich spürt man beim Lesen, dass etwas Schlimmeres hinter der Tat steckt, etwas tief Verborgenes, das sich allmählich den Weg an die Oberfläche bahnt.
2012 wird eine Leiche in der Nähe der niedergebrannten Pension gefunden, die wohl vor 21 Jahren dort verbuddelt worden ist. Es handelt sich dabei um den vermeintlichen Mörder von 1991. Wenn er aber damals beim Brand der Pension ebenfalls umgekommen ist, dann bedeutet dies, dass der eigentliche Mörder seitdem frei irgendwo da draußen herumlaufen muss …
Zugleich wird in Schweden in der Nähe von Kymlinge ein Mann mit einer Axt im Schädel gefunden. Gunnar Barbarotti beginnt zu ermitteln.
Vier Fälle ereignen sich zu drei unterschiedlichen Zeiten. Der Leser weiß, dass sie irgendwie zusammenhängen. Irgendwie. Aber wie?
Håkan Nesser weiß, wie man Fährten legt – richtige und falsche.
Håkan Nesser gilt nicht grundlos als einer der begnadetsten Krimiautoren Schwedens. Meisterhaft gelingt es ihm, Spuren zu legen, Fährten, die die Ermittler und die Leser aufnehmen können und dann – tatsächlich oder nur scheinbar – wieder im Nichts verlaufen. Namen und Hinweise fallen ganz beiläufig. Helfen sie bei der Lösung? Oder sind sie völlig irrelevant? Es ist ein äußerst verworrener Fall, dessen Wurzeln noch weit vor dem ersten Ereignis aus den späten 1960er Jahren zu finden sind.
Der Fall von 1991, der nun mit der neu gefundenen Leiche plötzlich doch nicht mehr als aufgeklärt gelten kann, holt Ex-Kommissar Van Veeteren ein. Gemeinsam mit seinem Kollegen Münster hat er damals den Fall übernommen und abgeschlossen. Die ausgegrabene Leiche des angeblichen Mörders verändert aber alles.
Van Veeteren, der gerade der Feier seines 75. Geburtstags verzweifelt aus dem Weg gehen möchte, muss sich also nicht nur mit dem Alter, sondern auch mit einem alten Fall auseinandersetzen. Widerwillig versucht er aufzudecken, was ihm 1991 nicht gelungen ist. Unterstützt wird er dabei von seiner Lebensgefährtin, die im Alter die Ermittlerin in sich entdeckt.
Barbarotti und Van Veeteren treffen aufeinander. Das macht Lust auf mehr.
Wie Nesser Van Veeteren, seine Auseinandersetzung mit dem Altwerden sowie die Beziehung zwischen dem Ex-Kommissar und seiner Lebensgefährtin beschreibt, ist faszinierend. Teils ein wenig melancholisch, oft mit einer Spur feiner Ironie und immer wieder mit Dialogen, die auf unbeschwerte Weise in philosophische Tiefen gehen. Hierin zeigt sich Nessers Klasse.
Der ehemalige Gymnasiallehrer Håkan Nesser versteht sich nicht nur im Legen von falschen oder richtigen Fährten, sondern besonders auch in der Zeichnung von Charakteren und Beziehungen. Damit ist er vor allem eines: ein begnadeter Erzähler. Da wird selbst ein Krimi mit 543 Seiten nicht langweilig.
Faszinierend ist auch das Aufeinandertreffen der beiden Kommissare Van Veeteren und Barbarotti im letzten Viertel des Romans. Gekennzeichnet von tiefem Respekt füreinander, freundschaftlich, wenngleich durchaus ein wenig distanziert, machen sie sich daran, diesen dunklen und abgründigen Fall zu lösen. Das Zusammenspiel der beiden macht Lust auf mehr.
Ob das Zusammentreffen der beiden Kommissare in „De vänsterhäntas förening“ der Auftakt zu weiteren gemeinsamen Fällen oder aber der Abschied von beiden für immer ist, das wird sich zeigen. Das nächste Buch aus der Feder des meisterhaften Erzählers Håkan Nesser lässt sicherlich nicht lange auf sich warten. Wenn sich dann die Wege der Kommissare wieder kreuzen, würde es mich freuen.
Das Buch „De vänsterhäntas förening“ ist am 27. Juli 2018 im Albert Bonniers Förlag auf Schwedisch erschienen. Die Hardcover-Ausgabe kostet 195:- SEK.
Seit Herbst 2019 ist auch die deutsche Übersetzung „Der Verein der Linkshänder“ im Handel erhältlich.
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Seine Krimis sind alle lesenswert. 2015 hat Håkan Nesser mit „Elf Tage in Berlin“ andere Wege eingeschlagen. Dieses Buch wurde sehr unterschiedlich rezensiert. Mir hat’s gefallen.
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