Neulich war ich wieder in Schweden. Zum ich-weiß-nicht-wievielten Male. Ich war mit dem Zug unterwegs, setzte mit der Fähre von Rostock nach Trelleborg über. Dort angekommen, es war früh morgens gegen 6 Uhr, ging in den Bahnhof von Trelleborg, der direkt am Fährterminal liegt, und wartete auf den Zug. Im Bahnhof gibt es ein kleines Café. Und genau hier keimte das Gefühl wieder auf: das Gefühl des Daheimseins bzw. des Nachhausekommens.
Es ist ein Gefühl, das mich fast immer überkommt, wenn ich in Schweden bin. Schon oft habe ich mir darüber Gedanken, aber so eine wirklich endgültige, mich gänzlich zufriedenstellende Antwort habe ich bisher noch nicht gefunden. Warum ist das so? Warum fühle ich mich in Schweden immer sofort so angekommen, so zuhause?
An diesem kleinen Café im Eck holte ich mir – wie immer wenn ich hier ankomme – einen Kaffee und wurde gleich in ein kleines Schwätzchen mit der Frau hinter dem Tresen eingebunden. Eine so alltägliche und zugleich so nette Szene. Es ist schön, so im Land anzukommen. Da kann es sogar 6 Uhr morgens sein und mir die Müdigkeit noch in den Knochen sitzen.
Gefühl des Daheimseins in den alltäglichen Momenten
Das Gefühl des Angekommenseins, des Daheimseins kommt manchmal wie aus dem Nichts. Und in höchst alltäglichen, ja, geradezu gewöhnlichen Momenten: Es kann auf der kleinen Landstraße sein, die mitten über den See Åsnen bzw. dessen Inseln führt, wenn ich dort anhalte und den Wellen beim Anlandschwappen zuhöre. Da können es auch nur 5 Grad sein, das ist egal. Das Gefühl kann mich überkommen, wenn ich mit dem Mountainbike durch småländische Landschaften radle, vorbei an moosbewachsenen Steinen im Wald oder alten Steinmauern – selbst bei Dauernieselregen. Oder es ist da, wenn ich mit dem Auto über eine Landstraße so vor mich hinfahre, die Wälder vorbeiziehen und nur hin und wieder ein Auto entgegenkommt.

Es muss nicht die Sonne scheinen. Es müssen keine 25 Grad sein, ich die Beine in den See baumeln lassen können und ein Eis essen, es müssen keine supergemütlichen Sommercafés sein, in denen man sich immer eine Kanelbulle zu viel in sich hineinstopft. Klar, das ist natürlich traumhaft, aber es muss nicht sein. Für das Gefühl, von dem ich spreche, braucht’s das nicht.
In all diesen Momenten, die ich gerade eben beschrieben habe, fühle ich mich daheim. Obwohl ich in der Fremde bin. Das finde ich sehr faszinierend und ich weiß aus vielen Gesprächen, dass ich gewiss nicht der Einzige bin, dem es so geht.
Gast sein und doch zuhause sein
Was ist es an Schweden – und wahrscheinlich kann man das auf den Norden an sich ausdehnen -, dass ich mich so daheim fühle? Dass ich das Gefühl habe, nicht nur Gast zu sein, obwohl ich es bin?
Eigentlich doch seltsam, oder? Sicher, ich spreche die Sprache recht gut und kann mich problemlos über alle möglichen Themen unterhalten, dennoch bleibt Schwedisch eine Fremdsprache, in der ich mich nie ganz so heimisch fühlen werde wie im Deutschen. Gewiss, ich habe mehrere Jahre in Schweden gelebt, habe Freunde dort, bin sehr regelmäßig im Land und kenne viele Flecken des Landes. Es ist vertraut, zumindest ein bisschen.
Aber erklärt das, dass man sich zu Hause fühlt, angekommen? Manche erzählen von diesem Gefühl bereits während ihres ersten Schwedenurlaubs? Da kann man schlecht argumentieren, dass dieses Gefühl halt entsteht, wenn man öfters in einem Land ist.
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Was ist es also?
Ich versuche mich mal in einer Antwort. Aber es sind nur Versuche, keine Gewissheiten.
- Die Sprache macht es einem leicht. Auch wenn Schwedisch für mich immer eine Fremdsprache bleiben wird (selbst wenn man sie nahezu fließend spricht, ist es nun mal eine Fremdsprache), ist sie vertraut, weil es so viele Ähnlichkeiten zum Deutschen gibt – aber sie lädt auch ein. Die Melodie der Sprache, der Klang, Schwedisch lädt ein und will einen nicht fremd sein lassen.
- Immer wieder stelle ich es aufs Neue fest: Die Menschen in Schweden haben eine andere Art von Freundlichkeit. Ich weiß gar nicht, ob ich sagen möchte, dass sie freundlicher sind als Deutsche, Österreicher oder wer auch immer. Das ist mir zu pauschal. Und es gibt ja auch die grummeligen Schweden. Vielleicht liegt es am Duzen, vielleicht aber auch an der Art, wie sie dich sehen.
Auf dem Åsnen machte ich mal eine Bootstour mit Mikael. Wir fuhren früh morgens raus, um nach Kranichen, Seeadlern und Fischadlern Ausschau zu halten. Mikael ist Guide, aber er war früher auch Bürgermeister von Tingsryd. Während der Fahrt plauderten wir über Vögel, den Nationalpark, aber auch über Politik und Verwaltung. Also, er war es, der vor allem plauderte und erzählte. Am Ende bedankte er sich bei mir für die tolle Bootsfahrt und dass es so schön war, mich kennenzulernen. Nur eine Floskel? Vielleicht. Jedenfalls wirkt es nie wie eine Floskel, sondern so, als wäre es ernst gemeint. Man ist nicht nur Gast und Kunde, sondern jemand, mit dem man sich ernsthaft unterhält. Da fühlt man sich dann schnell heimisch. - Dann ist da natürlich die Natur. Sie gibt mir die Möglichkeit, ganz ruhig zu werden, manchmal an einfach nichts zu denken, zu mir zu kommen. Ich brauche in diesen Momenten nicht viel, eigentlich gar nichts, und kann einfach am See sitzen, hinaus aufs Wasser schauen, durch einen Wald stromern, über Felsen klettern, was auch immer. Selbst im Sommer hat man die Natur für sich – außer an ganz speziellen Orten. Man wird nicht gestört, hat Ruhe, dadurch kann auch ein Gefühl einer großen Freiheit entstehen.

Im Norden eher bewundernder Gast
Aber ich bin auch ein Mensch, der andere Menschen um sich herum braucht. Völlige Einsamkeit ist schön, genieße ich manchmal auch sehr, aber irgendwann brauche ich dann auch wieder einen Ort, ein Dorf, ein kleines oder größeres Städtchen. In dieser Kombination aus Natur und Kultur fühle ich mich daheim.
Ganz im Norden oder im Fjäll da entsteht dieses Gefühl des Daheimseins bei mir interessanterweise nicht. Ich liebe es da oben, ich liebe die fantastische Natur Lapplands und der Berge, es ist absolut faszinierend dort. Aber da fühle ich auch, dass ich eher bewundernder Gast bin. Ganz im Süden, in Skåne, entsteht das Gefühl auch nicht – zu agrarisch, zu sehr kultiviert.
Aber in Gegenden wie Småland, Dalarna, Närke, Bohuslän, wo ich Natur habe, in der ich zu mir finde und wo ich einfach sein und genießen kann, und wo es immer wieder auch Menschen und vom Menschen Gemachtes gibt – sei es ein Café, eine Straße, die sich durch die Landschaft schlängelt, eine hübsche Kirche, ein Loppis, was auch immer, dann stellt es sich sofort ein, das Gefühl des Daheimseins.
- Ein vierter Punkt sind vielleicht auch Kindheitserinnerungen. Esse ich eine Himbeere, denke ich an Kindheitsurlaube in Bergslagen, wo es immer diese leckeren Wildhimbeeren gab, paddel ich mit dem Kanu, kommen Erinnerungen hoch, wenn ich in irgendeiner Weise mit Astrid Lindgren in Kontakt komme, ebenso. Die Schwedenurlaube als Kind sind für mich bis heute ganz besondere Momente, besondere Erinnerungen, Erinnerungen an eine völlig unbeschwerte Kindheit – zumindest während der Urlaube.
Viele Überlegungen, keine Gewissheiten
Naja. Viele Überlegungen, aber nach wie vor keine Gewissheiten. So richtig klüger bin ich immer noch nicht. Das macht aber nichts. Die Sprache, die Menschen, die Verbindung von wilder, schöner, einsamer Natur und Kultur – das alles führt dazu, dass ich mich in Schweden immer so schnell daheim fühle. Gewürzt wird das mit den Erinnerungen an eine ziemlich glückliche Zeit als Kind in Schweden. All diese Dinge führen sicherlich dazu, dass ich mich zuhause fühle in Schweden. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass da noch mehr ist. Ich bleibe also weiter auf der Suche.
Vielleicht hast du ja noch weitere Aspekte. Geht es dir auch so, dass du dich in Schweden – oder zumindest in bestimmten Regionen Schwedens – daheim fühlst? Was macht es bei dir aus? Was lässt dieses Gefühl entstehen? Hinterlasse gerne einen Kommentar oder schreibe an elchkuss [@] elchkuss.de. Ich freue mich auf deine Nachricht!
Oh, wie sprichst Du mir aus der Seele! Ich hätte das alles nicht besser beschreiben können. Ich war bisher nur in Småland, aber ich liebe es! Die Natur, die Ruhe, mein Seelenbalsam, der mich mindestens 3 Gänge zurück schalten läßt. Die Art der Menschen ist unbeschreiblich…freundlich oder hilfsbereit wäre zu wenig gesagt. Aber ich finde auch nicht die richtigen Worte dazu. Weil ich dieses Gefühl aus Deutschland nicht kenne, habe ich für mich beschlossen, ganz nach Schweden zu gehn. Ich folge meinem inneren Wunsch nach dieser einzigartigen Zufriedenheit, die ich dort verspüre. Danke für Deinen tollen Beitrag, der mir grade den Nachmittag in meiner tristen Arbeit gerettet hat. 😉 Lieben Gruß, Claudia
Hej Claudia,
vielen Dank für deinen lieben Kommentar! Wenn ich damit triste Nachmittage retten kann, dann ist das einfach schön! Danke!
LG, Jo
Hej Johannes,
ein wirklich starker Text – da steckt viel von dem drin, was ich selbst erlebt habe. Ich lebe seit 2023 in der Tingsryds Kommun, und schon beim ersten Mal über die Brücke war da dieses Gefühl: Hier passt’s.
Wir haben sogar mal einen Gentest gemacht, in der Hoffnung auf skandinavische Wurzeln – aber da kam nichts Passendes bei raus. Trotzdem fühlt sich’s hier richtiger an als an manchem Ort, wo ich tatsächlich herkomme.
Du hast das echt gut auf den Punkt gebracht.
Danke fürs Teilen!
Torge
Hej Torge!
Vielen Dank für deine Nachricht! Das ist doch wunderbar, wenn man weiß, dass es sich an dem Ort, an dem man lebt, einfach richtig anfühlt. 🙂
Beste Grüße,
Jo