Bücher Menschen und Gesellschaft

„Björnstad“ – Roman über eine vergessene Stadt

Fredrik Backman Björnstad / Kleine Stadt der großen Träume

Björnstad ist eine Hockeystadt. Man redet nicht viel, dort in der sich abwärts entwickelnden Stadt irgendwo in den tiefen Wäldern. Aber man hofft. Auf das Junioren-Hockey-Team. Dass es irgendwie wieder aufwärts geht. Diesem Ziel muss alles untergeordnet werden. Alles. So nimmt die Katastrophe ihren Lauf…

„Björnstad“ ist der erste Teil einer Serie von Fredrik Backman, dem Erfolgsautor von „Ein Mann namens Ove“. Mit diesem Roman betritt Backman neue, ernstere Wege. Und das ist sehr lesenswert. Selbst der kitschig anmutende Titel der deutschen Übersetzung „Kleine Stadt der großen Träume“ stört da kaum.

In Björnstad ist nicht mehr viel los. Die fiktive Kleinstadt, irgendwo in den tiefen Wäldern Mittel- oder Nordschwedens gelegen, ist dem Untergang geweiht. Die Menschen ziehen weg. Die Fabriken verschwinden. Der Winter hat die Stadt über viele Monate hinweg eisig im Griff.

Bären in Björnstad

Aber die Menschen aus Björnstad sind – der Name sagt es schon – Bären. Sie kämpfen und geben nicht auf. Vor vielen Jahren ist das Hockeyteam ihrer Stadt Zweiter im ganzen Land geworden. Peter Andersson war ein Teil dieses Teams. Jetzt ist er als Sportchef des Hockeyclubs zurückgekehrt. Und das Juniorenteam ist gerade auf dem besten Weg, ein neues Wunder zu schreiben. Sie stehen im Halbfinale. Noch zwei Spiele bis zu einer rosigen Zukunft. Bis Björnstad wieder registriert wird, bis die Kommune das geplante Hockey-Gymnasium in der Kleinstadt baut, bis man wieder selbstbewusst sagen kann, dass man aus Björnstadt kommt. Nur noch zwei Spiele. Alles und jeder fiebert darauf hin. Die Zukunft der Stadt liegt in den Händen des Teams aus Jugendlichen und Halbstarken, aus Träumern und Hoffenden, aus Kämpfern und Angebern.

Und dann geschieht, was nicht geschehen darf. Einer der Stars aus dem Team wird zum Täter, ein junges Mädchen zum Opfer.

Die Zukunft der Stadt steht auf dem Spiel. Da wägt jeder ab, was es zu prioritieren gilt und wo Schuld zu suchen ist.

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Intensiver Einblick in das Leben und die Menschen in Björnstad

Wir Leser dürfen in diese Kleinstadt, die in Vergessenheit geraten ist, eintauchen. Das ist oftmals unangenehm. Denn die Björnstädter reden nicht viel. Sie regeln ihre Dinge lieber „intern“. In der Schule wird gemobbt. Wer ein schlechter Hockeyspieler ist, hat keine guten Karten. Wer homosexuell ist, erst recht nicht. Es ist eine ziemlich enge, bedrückende, horizontfreie Welt, in die wir da abtauchen.

Aber es ist auch eine Stadt, die sich nicht aufgibt, in der die Hoffnung zuletzt stirbt und jeder seinen kleinen und großen Träumen hinterherhängt. Eine Stadt, in der man zusammenhält (zumindest gibt man das vor). Björnstadt ist daher nicht nur eng und trist, sondern auch sympathisch trotzig und stark.

Cover von Björnstad
Cover von Björnstad

In dieser Stadt begegnen wir vielen verschiedenen Menschen. Der Erzähler gibt ihnen allen Raum, lässt sie zu Wort kommen, hört ihnen zu. Da ist Mira, die Frau des Sportchefs, die stoisch gegen die Enge und Einsamkeit der Stadt ankämpft. Ihre Tochter Maya wählt die Welt der Musik, denn Hockey kann sie nicht leiden. Mayas beste Freundin Ana ist sozial wenig kompatibel, dafür aber in den Wäldern zuhause. Da ist Amat, der alles für das Hockey gibt und jeden Morgen vor der Schule trainiert, während seine Mutter in der Eishalle putzt. Da sind der starke, aber etwas einfältige Bobo, der verwöhnte Kevin, Benji, auf dem Eis ein Star, aber dennoch kein typischer Hockeyspieler. Und da sind die Eltern, die ehemaligen Spieler, die Sponsoren, die Abgehängten. Ein kleiner Kosmos, der aber doch stellvertretend für das ganze Land ist.

Ein Roman, der es den Lesern nicht einfach macht

Fast niemand von diesen vielen Figuren ist nur gut oder nur schlecht, nur sympathisch oder unsympathisch. Das ist die große Leistung dieses Romans. Er zeigt, dass jedes Handeln menschlich ist. Viele handeln zwar unmoralisch, egoistisch, kaltherzig, aber nie, weil sie böse sind, sondern meist, weil es irgendetwas gibt, was sie zu dem macht, was sie sind. Als Leser mag man diese Figuren trotzdem nicht und man könnte sie wieder und wieder gegen die Wand klatschen. Aber es wird einem nicht so einfach gemacht, eine Figur simpel und undifferenziert in die gute oder böse Ecke zu stellen.

Nicht nur bei den Figuren ist es so: Der Roman zeigt die faszinierenden und tollen Seiten des Eishockey auf – und die zerstörerischen. Björnstad erscheint als miefiges Kaff – das dennoch (zumindest in Teilen) viel Herz hat. Dass die Eltern ihre Eishockey spielenden Kinder mit Leib und Seele unterstützen, wird als wundervolle Geste dargestellt – und als blinder Egoismus.

Fredrik Backman macht es seinen Lesern damit nicht leicht. Aber er zeigt, wie die Welt nun mal ist: ziemlich komplex, vielschichtig und oftmals verwirrend different. Nur in einer Sache nimmt er klar Stellung: Nein heißt Nein! Wenn ein Mädchen vergewaltigt wird, ist das nie ihre Schuld, sondern immer die des Täters. Gut, dass der Roman stets viele Perspektiven zulässt, in diesem Punkt aber eindeutig ist.

Harter Stoff und trotzdem immer wieder komisch

Diese Tat und der Umgang der Bewohner Björnstads mit ihr stehen im Mittelpunkt des Romans. Ziemlich harter Stoff also, der nicht leicht verdaulich ist und noch lange nachwirkt. Zugleich ist die Geschichte immer wieder herrlich lustig und an mehreren Stellen hat man Tränen der Rührung in den Augen, wenn die Björnstädter zeigen, dass doch mehr in ihnen steckt, als man manchmal glauben mag.

Fredrik Backman ist mit „Björnstad“ („Kleine Stadt der großen Träume“) ein Roman über Eishockey gelungen, der weit mehr erzählt als nur eine Eishockey-Geschichte. Er handelt von kleinen Städten in strukturschwachen Gegenden. Von Jugend und Pubertät und all den Kämpfen, Hoffnungen, Träumen und Rückschlägen, die man als Jugendlicher in dieser Zeit durchlebt. Von Erziehung, Freundschaft, Verantwortung und Schuld. Er ist eine Geschichte über das Schweigen und den Wert von Kommunikation. Letztendlich ist er damit ein Roman über die Gesellschaft und über die Art und Weise, wie wir zusammenleben (wollen).

Ein besonderes Buch, das wir daher ganz besonders empfehlen!

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Wer Schwedisch lernt, dem ist das schwedische Original empfohlen. Du wirst im Bereich Jugendsprache und Schimpfwörtern große Fortschritte machen … 😉

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Roman
Verlag: Piratförlaget 2016 (deutsch: Fischer Krüger 2017)
Taschenbuch, 473 Seiten (im schwedischen Original)
ISBN: 978-91-7503-724-0 (schwedisches Taschenbuch)
ISBN: 978-3-8105-3043-1 (deutsches Hardcover

Auf Elchkuss findest du weitere schwedische Literatur:

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  1. Ulf Spiecker

    Bra jobbat! Eine der besten und vielseitigsten Schwedenseiten, die nicht nur die (Sehnsuchts)Zeit zwischen den Schwedenfahrten verkürzt, sondern auch ein toller Infopool – werde ich zukünftig auch mal für die Recherche für meine Schwedenkrimis nutzen!

    • Elchkuss

      Hej Ulf!
      Tusen tack! Dein Kommentar freut uns riesig und ist eine wahnsinnige Motivation! Vielen Dank dafür!
      Was für Schwedenkrimis schreibst du denn?
      Liebe Grüße,
      Jo

      • Ulf Spiecker

        Hej Jo,
        ich habe vor einigen Jahren angefangen zwei Träume zu verwirklichen: Möglichst oft in Schweden zu sein (seit 2002) und Schreiben. Und da die „normalen“ schwedischen Krimis immer die Frage aufwerfen, ob man überhaupt die Chance hat, aus diesem Land lebend wieder herauszukommen, Bullerbü und Kalle Blomquist aber eine sehr rosarote Sicht auf Land und Leute verbreiten, versuche ich mit meinen Büchern die Lücke zwischen diesen „Extremen“ zu schließen. Eingepackt in Krimis erzähle ich – auch augenzwinkernd – über Land und Leute und aktuelle Entwicklungen. Und die ProtagonistInnen leben und arbeiten eben in einer mir gutbekannten südschwedischen Landschaft – und kommen während der Handlung doch auch in andere Gefilde. Die bisherigen Rückmedungen machen mir Mut weiterzumachen, der dritte Band ist gerade im Lektorat …
        Liebe Grüße und hejdå!
        Ulf

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