Bücher

Barbarotti und der seltsame Busfahrer, der jetzt Rad fährt

Håkan Nesser: Den sorgsne busschauffören från Alster; auf deutsch: Barbarotti und der schwermütige Busfahrer

Håkan Nesser ist der wohltuende Gegenpol zu Fitzek, Nesbø, Mankell und Co. Während bei den einen die Morde und Taten in einer überbordenden Brutalität dargestellt werden, hält sich Nesser mit brutalen Szenen zurück. Langsam erzählt er, mit feinem Humor und genauen Charakterdarstellungen. Auch der sechste Barbarotti-Fall „Barbarotti und der schwermütige Busfahrer“ fügt sich nahtlos in diese Erzählweise ein. Eine Rezension.

Im Einsatz erschießt Eva Backman, die mittlerweile mit Kommissar Barbarotti zusammen ist, einen jungen Mann. Auch wenn sie richtig gehandelt hat, lässt der Tod des Mannes sie nicht los. Um Abstand zu bekommen, quartieren sich Barbarotti und Backman im Ferienhaus eines Kollegen auf Gotland ein.

Hier im äußersten Norden der Insel ist es ruhig.

Sehr ruhig.

Absolute tote Hose.

Das herbstliche Gotland ist längst von allen Touristen verlassen. Zurück bleiben ein paar wortkarge Einheimische, Wind, manchmal Regen und viel Zeit zum Lesen, Spazierengehen und einfach zu sein. Genau das, was Eva Backman braucht.

Der Busfahrer fährt jetzt Rad.

Bei einer Radtour sehen sie einen anderen Mann mit einem roten Herrenfahrrad. Barbarotti glaubt, ihn zu erkennen. Ist das nicht ein Mann, der vor mehreren Jahren bei ihnen auf der Polizeistation aufgetaucht ist, weil er Drohbriefe erhalten hat? Drohbriefe, die von der Rachegöttin Nemesis unterschrieben waren?

Aber nein, das ist unmöglich, denn dieser Mann, Albin Runge, ist seit sechs Jahren verschwunden, vermutlich tot.

Der Busfahrer fährt jetzt ein rotes Rad.

Damit kommt die zweite Zeitebene des Romans ins Spiel: die Zeit vor sechs Jahren, als der ehemalige Busfahrer Runge plötzlich bei Barbarotti und Backman auftaucht, weil er sich bedroht fühlt. Runge lenkte nochmals ein paar Jahre zuvor einen Bus mit Jugendlichen an Bord. Bei einem Unfall kamen mehrere der Passagiere ums Leben. Wollen Angehörige nun Rache üben?

Seltsame Figuren in einer seltsamen Welt

Der Fall ist seltsam. Wie irgendwie alles in diesem Roman. Albin Runge ist ein seltsamer Typ, seine Lebensgefährtin ebenso. Auch die einsamen Welten auf Gotland wirken seltsam – einerseits verwunschen einsam, andererseits in ihrer Monotonie bedrohlich. Dabei gibt es nie etwas, was tatsächlich bedrohlich für die beiden Kommissare in ihrem Ferienhaus werden könnte. Aber es scheint ständig etwas in der Luft zu liegen.

Es ist genau das, was ich an Håkan Nesser so schätze: In seinen Büchern geht es nur äußerst selten brutal zu. Aber die Stimmungen und Szenerien haben oft etwas Unangenehmes in sich. Auch die Figuren, die Nesser schafft. Dieser Albin Runge, der wenig spricht, schwermütige Tagebucheinträge schreibt und irgendwie nicht ganz von dieser Welt zu sein scheint – auch wenn er harmlos ist, irgendwie will man ihm nicht begegnen.

Runge und Fröding – zwei Schwermütige

Die intertextuellen Bezüge zwischen Albin Runge und dem schwedischen Dichter Gustaf Fröding sind nicht zu übersehen. Runge überschreibt seine Tagebucheinträge mit „Stänk och flikar“ – so heißt auch ein Gedichtband von Fröding. Wie der Dichter stammt auch der Busfahrer aus Alster. Im schwedischen Original, das mir für die Rezension vorlag, wird die Herkunft sogar im Titel betont: „Den sorgsne busschauffören från Alster“.

Frödings Gedichte sind – neben all der Schönheit der Worte – von einer großen Schwermut durchzogen. Kein Wunder also, dass sich Albin Runge immer wieder auf den Dichter bezieht.

Als er – zumindest will Barbarotti das glauben – plötzlich auf Gotland wieder auftaucht, rollen der Kommissar und seine Lebensgefährtin den alten Fall wieder auf. Die beiden Zeitebenen verwachsen mehr und mehr miteinander. Håkan Nesser gelingt es, mehrere Fährten auszulegen, auf denen man sich als Leser verirrt. Dennoch bleibt das Ende – auf jeden Fall in Teilen – vorhersehbar.

Werbung:


Gewisse Längen, die aber auch wohltuend sein können

Mir macht das nicht so viel aus. Denn Nessers Bücher lese ich weniger wegen der Lösung des Falls, sondern vielmehr wegen den Beschreibungen von Orten, Stimmungen und Personen, wegen des feinen, unterschwelligen Humors und den tiefgründigen Dialogen.

Håkan Nesser
Håkan Nesser, Foto: Caroline Andersson

Wer dies mag und sich auch von einer gewissen Langatmigkeit nicht abschrecken lässt, der wird auch diesen Håkan Nesser-Roman lieben. Wer hingegen Fitzek-verdorben ist und Action, pure Spannung und brutale Szenen wünscht, der sollte den Roman am besten erst gar nicht beginnen.

Ich habe ihn mit großem Vergnügen gelesen. Fünf Sterne gibt’s allerdings nicht ganz, denn an einzelnen Stellen war das Buch dann doch etwas zu langatmig.

*

Hier findest du weitere Rezensionen zu Håkan Nesser-Büchern.

In diesem Artikel sind wir der Frage nachgegangen, warum der nordische Krimi so erfolgreich ist.

* = Affiliate-Link

Schreibe einen Kommentar

Cookie Consent Banner von Real Cookie Banner