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Nils Dacke – Bauernführer und Herausforderer von Gustav Vasa

Schild zur Dacke Höhle

Brennender Schmerz durchfährt Nils Dacke, als sich die Kugel in seinen linken Oberschenkel bohrt, wieder austritt und dann auch den rechten Oberschenkel zertrümmert. Er brüllt auf, kann sich nicht länger auf den Beinen halten und fällt vornüber auf den eisigen und hartgefrorenen Boden. Schüsse knallen, Kugeln zischen durch die Luft, das Geschrei tausender Soldaten dröhnt, Schmerzensschreie der Verletzten und Sterbenden, Eisen schlägt auf Eisen. Zwei Bauern entdecken Nils Dacke am Boden, sie packen ihn und schleifen ihn davon. Weg vom Getümmel und Kampfeslärm, tief in den Wald zu einer Höhle, in der sie ihn verstecken. Würden die königlichen Soldaten ihn finden, stünde ihm ein langer qualvoller Tod bevor. Das weiß jeder.

In dieser Höhle bei Virserum soll Nils Dacke versteckt worden sein.
Die Dacke-Höhle bei Virserum

Ohne ihren Anführer fällt die Gegenwehr des bäuerlichen Heeres, in dem ohnehin schon Chaos geherrscht hat, in sich zusammen. An diesem 20. März 1543 erringen die Truppen des schwedischen Königs Gustav Vasa in der Schlacht bei Virserum einen triumphalen Sieg über die aufständischen Bauern. Es ist der Wendepunkt. Nils Dacke ist zwar noch nicht tot, doch nun beginnt eine regelrechte Hetzjagd auf ihn – vom König selbst beauftragt.

Auf den Spuren von Nils Dacke in Virserum

Wer heute Virserum besucht, stößt ständig auf Nils Dacke. Am Ortseingang begrüßt eine kleine Statue den Besucher, im Zentrum steht er – hier größer und mit Armbrust – auf einem hohen Sockel. Wer einen Spaziergang um den Virserumsee macht, kommt am Schauplatz der Schlacht und an jener Grotte, in der der Verletzte verborgen wurde, vorbei. Auch bei Vissefjärda an der Grenze von Kalmar län und Blekinge, die Region, aus der Nils Dacke kam und wo er starb, gibt es Gedenksteine und einen Dacke-Weg. Und das Fährunternehmen TT-Line hat sogar eines seiner Schiffe nach ihm benannt. Wer war dieser Mann, der von König Gustav Vasa rigoros bekämpft wurde und der heute – zumindest in Småland – als Volksheld verehrt wird?

Dacke-Statue am Ortseingang von Virserum
Dacke-Statue am Ortseingang von Virserum …
Dacke-Statue in Virserum
… und im Ort.

Gustav Vasa und Nils Dacke – Gegenspieler in einer Zeit des Umbruchs

Nils Dacke ist ohne die Herrschaft Gustav Vasas nicht denkbar. Wenn man so möchte, hat erst der König den Bauernführer, den er später bekriegte, groß gemacht. Gustav Vasa kämpfte für die schwedische Unabhängigkeit und gegen den dänischen König Kristian II., der als Herrscher über die Kalmarer Union auch schwedischer König war. Dieser Kampf, reich an Mythen und großen Geschichten, endete mit dem Sieg Gustav Vasas und dessen Krönung zum König eines unabhängigen Schwedens am 6. Juni 1523 – bis heute der schwedische Nationalfeiertag. Doch Gustav Vasa wollte nicht nur die Unabhängigkeit, er wollte mehr: ein straff organisiertes und vor allem zentralistisch gesteuertes Reich mit dem König unumschränkt an der Spitze und Stockholm als Machtzentrum. Vögte wurden eingesetzt, die für den König Steuern eintrieben und die Herrschaft durchsetzten.

Die von Martin Luther angestoßene Reformation kam Gustav Vasa da gerade recht. Aus zwei Gründen: Zum einen konnte er so die katholische Kirche und den Papst als Machtfaktor aus dem Weg räumen und die eigene Macht als oberster Kirchenherr ausbauen. Zum anderen war all das Silber und Gold, das er nun aus den Kirchen und aufgelösten Klöstern einziehen konnte, zur Finanzierung seines Heeres und des Staatsaufbaus von größter Bedeutung. Es waren also wirtschaftliche und machtpolitische Gründe, die zur Durchführung der Reformation in Schweden führten, weniger religiöse Überzeugungen.

Der Unmut der Bauern

In Småland, das schon immer viel Wert auf die eigene Unabhängigkeit legte und sich von Stockholm nicht viel sagen lassen wollte, kamen die Reformpläne des Königs überhaupt nicht gut an. Die eingesetzten Vögte waren ebenso verhasst wie die Steuern, die immer höher und drückender wurden. Auch wollte man sich nicht einfach eine neue Konfession aufdrücken lassen. Die Plünderung der Kirchen und Klöster vergrößerte den Unmut nur noch mehr. Und dann wurde auch noch der Grenzhandel mit Dänemark verboten. Für Småland, das zu jener Zeit Grenzland war, da Blekinge und Schonen zu Dänemark gehörten, bedeutete dies einen wirtschaftlichen Schlag in den Nacken.

Es rumorte unter den Bauern – nicht nur in Småland, sondern auch in anderen Regionen. Aufstände brachen aus, Vögte wurden ermordet, die Bauern rotteten sich zusammen. An ihre Spitze trat ein Mann namens Nils Dacke, Bauer aus der Gegend um Vissefjärda. Man weiß nicht viel über ihn. Sein Name taucht in einem Prozess wegen eines Mordes an einem Vogt auf, viel mehr ist nicht bekannt. Doch ab 1542 beherrscht sein Name das politische Geschehen. Er wird zum großen Widersacher des Königs und zum dramatisch scheiternden Bauernführer.

Nils Dacke wird zum erfolgreichen Bauernführer

Die Bauernaufstände des Jahres 1542 verbreiteten sich wie ein Flächenbrand im südlichen Schweden. Die eilig zusammengerufenen königlichen Truppen mussten im Sommer 1542 bei Kisa in Östergötland eine vernichtende Niederlage hinnehmen. Bald schon wurde Småland, Öland und weite Teile Östergötlands von den Aufständischen kontrolliert. Der deutsche Kaiser, ein Katholik, gratulierte bereits und bot eine Zusammenarbeit im Kampf gegen den schwedischen König an.

Doch Nils Dacke wollte wohl nicht Gustav Vasa vom Thron stürzen. Die Forderungen, die im Zuge des Waffenstillstands im Spätherbst des Jahres 1542 erhoben wurden, machen deutlich, dass es ihm vielmehr darum ging, wiederherzustellen, was „gammalt och fornt“ war. Das Rad der Geschichte sollte also zurückgedreht werden; die Aufständischen hatten Sehnsucht nach der „guten, alten Zeit“. Als ungerecht empfundene Steuern sollten abgeschafft werden, ebenso die Privilegien der Vögte. Die lateinische Messe sollte wiedereingeführt werden. Man forderte den Stopp der Kirchenplünderungen, mehr Selbstständigkeit und die Möglichkeit, unabhängig mit den dänischen Nachbarn politische und wirtschaftliche Absprachen zu treffen.

Bedrohung der königlichen Herrschaft durch Nils Dacke

Nils Dacke bedrohte damit nicht den Thron des Königs, wohl aber dessen Herrschaftssystem und dessen Pläne, die Zentralmacht zu stärken. Zudem war die Reformation in großer Gefahr, denn auch in anderen Regionen war der Protestantismus alles andere als gefestigt. Der König musste also handeln und den Bauernaufstand um jeden Preis niederschlagen. Auf den Waffenstillstand ließ er sich ein, jedoch nur, weil er so Zeit gewinnen und seine Truppen reorganisieren konnte.

Weihnachten 1542 feierte Nils Dacke im Schloss zu Kronoberg. Er hatte den König in die Defensive gezwungen, weite Gebiete unter seine Herrschaft gebracht, sein Aufstand war von Erfolg gekrönt. Doch dieses Weihnachtsfest sollte sein letztes sein. Denn während er feierte, rekrutierte der König tausende Söldner, viele davon aus Deutschland, im Kampf gegen Bauern bereits erprobt und bewährt. Auch Söldner aus Dalarna schlossen sich an. Es war den aufständischen Bauern nicht gelungen, Unterstützung in anderen Landesteilen zu bekommen.

Infotafel über die Schauplätze der Schlacht bei Virserum
In Virserum kommt man an Nils Dacke nicht vorbei

Dackes Waterloo – die Schlacht bei Virserum

Bereits Mitte Januar 1543 wurde der Waffenstillstand von Seiten des königlichen Heeres gebrochen. Die Armee des Königs rückte nach Süden vor. Als dann auch noch Erik Ölänning, einer von Nils Dackes herausragenden Heerführern, die Seiten wechselte, wurde die Lage für die Aufrührer gefährlich. Bei Virserum kam es schließlich zur Schlacht. Auf der Halbinsel zwischen dem See Hjorten und dem Virserumsee trafen die Heere aufeinander. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 18 000 Soldaten auf beiden Seiten kämpften. Für die damalige Zeit eine unvorstellbar große Zahl. Den königlichen Soldaten gelang es, den Schauplatz mehr und mehr auf den zugefrorenen See zu verlagern, was ihnen einen enormen Vorteil einbrachte. Denn die Bauern hatten hier keinen Schutz vor den Schusswaffen der Söldner. Als sie schließlich Nils Dacke verloren, der mit durchschossenen Oberschenkeln weggebracht wurde, brach Chaos aus. Der Sieg für die Königlichen war perfekt.

Schauplatz der Schlacht bei Virserum zwischen Hjorten und Virserumsee
Schauplatz der Schlacht bei Virserum

Man erzählt sich, dass der Gestank von hunderten, wenn nicht sogar tausenden Leichen über Virserum lag, sodass sich die Einwohner gezwungen sahen, die Toten auf eine Insel im Hjorten zu bringen, wo sie sie verbrannten. Seitdem heißt die Insel Skallö – die Schädelinsel.

Die Jagd auf Nils Dacke beginnt

Die königlichen Truppen unter der Führung von Lars Siggesson Sparre hatten den Bauern eine verheerende Niederlage beigebracht. Doch Nils Dacke lebte noch. Die Jagd begann. Zuerst wurde er in Näshult versteckt und gepflegt, dann an verschiedene andere Orte gebracht. Es war lebensgefährlich, den Staatsfeind Nummer 1 zu verstecken.

Währenddessen gewannen die Königlichen mehr und mehr die Oberhand. Und Nils Dacke bekam einen Vorgeschmack, was ihn erwarten würde. In der letzten großen Schlacht am 23. Juni 1543 bei Sund wurde Sven i Flake, die Nummer 2 nach Nils Dacke, getötet. Sein Leichnam wurde nach Kalmar gebracht, gerädert, gevierteilt, aufgespießt und den Vögeln zum Fraß überlassen. Zugleich wurden die Dörfer und Höfe in Småland nach Aufrührern durchsucht. Hinrichtungen waren an der Tagesordnung, niemand sollte ungeschoren davonkommen.

Nils Dacke hielt sich in dieser Zeit in der Nähe seines Heimathofs an der Grenze zu Blekinge in den tiefen Wäldern versteckt. Verrat sollte sein Ende besiegeln. Ein Mann namens Peder Skrivare, früher einer der engsten Vertrauten Dackes, verriet das Versteck des Bauernführers, um seine eigene Haut zu retten. In der Nähe von Ollatorpet wurde Nils Dacke schließlich auf der Flucht erschossen. Auf einem Ochsenkarren brachte man seine Leiche nach Kalmar, wo sie das gleiche Schicksal wie Sven i Flakes Leichnam erwartete. Nach der Leichenschändung wurde Dackes Kopf auf einen Spieß gesteckt und zum Hohn mit einer kupfernen Krone gekrönt. Es sollte eine Warnung an alle Bauern sein, sich künftig nicht mehr gegen den König aufzulehnen.

Dackes Ende in der Chronik von Johan Petri Klint
Nils Dackes abgeschlagener Kopf

Gustav Vasas Rache

Der Bauernkrieg war somit vorbei. Doch Gustav Vasa ruhte nicht eher, bis er alle Aufrührer und Verwandte von Nils Dacke aus dem Verkehr gezogen hatte. Der Jagd auf Dackes Anhänger fielen viele zum Opfer. So wurde Dackes Onkel nach Stockholm gebracht und dort gerädert. Nils Dackes zehnjähriger Sohn verschwand in einem Stockholmer Gefängnis, wo er angeblich verhungern musste. Und auch Peder Skrivare, der Verräter, wurde hingerichtet. Gustav Vasa kannte keine Gnade mit all jenen, die sich gegen ihn und seine zentralistische Herrschaft gestellt hatten.

Gustav Vasa war am Ziel. Er hatte die Königsmacht gestärkt und das Reich auf Stockholm ausgerichtet. Småland verlor seine Unabhängigkeit. Doch bis heute betonen die Smålänningar ihre Eigenarten und ihre Selbstständigkeit. Kein Wunder, dass Nils Dacke hier ein Volksheld ist. Denn er war der Letzte aus der Region, der Stockholm erhobenen Hauptes die Stirn geboten hat.

Du willst noch mehr über Nils Dackes Kampf erfahren? ⇒ Bo Alvemo: Dackefejden. Det stora upproret 1542-1543. Hallstavik 2006.

Oder auf Nils Dackes Spuren wandern?

⇒ Der 84 Kilometer lange Dacke-Leden im südlichen Småland: http://www.sverigesvandringsleder.se/dackeleden

⇒ Die Dacke-Höhle bei Virserum: http://visithultsfred.se/dackegrottan/

Alle Bilder in diesem Artikel von Bruno Möhler

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