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Wenn es fasziniert, eine Liebe scheitern zu sehen – Rezension zu „Egenmäktigt förfarande“ von Lena Andersson

Lena Andersson Widerrechtliche Inbesitznahme ein Roman über Liebe

Ich lese ungern Liebesromane.

Ich habe Lena Anderssons „Roman über Liebe“ verschlungen.

Wäre ich ein Leser, der bemerkenswerte Sätze in einem Buch mit Bleistift anstriche, das dünne Bändchen mit nicht einmal 200 Seiten wäre voller Markierungen. Denn Lena Andersson ist mit „Egenmäktigt förfarande – en roman om kärlek“* (wörtlich übersetzt: „Eigenmächtiges Verfahren – ein Roman über Liebe“) ein intelligentes Buch, ja, eine philosophische Betrachtung von Liebe, enttäuschter Liebe und dem daraus resultierenden Selbstbetrug gelungen. Ein Roman, der messerscharf analysiert, dessen Stil nüchtern und lakonisch ist und der damit nichts gemein hat mit einem herkömmlichen Liebesroman.

Roman über Liebe, "Widerrechtliche Inbesitznahme" von Lena Andersson

Wenn eine Vernünftige die Vernunft verliert

Ester Nilsson, die 31-jährige Protagonistin des Romans, ist eine intelligente, aufgeklärte Person. Sie hinterfragt die Dinge, untersucht sie Schicht für Schicht. Sie ist im besten Sinne des Wortes eine vernünftige Person. Die Vernunft leitet sie, das rationale Denken. Und dann tritt der Künstler Hugo Rask in ihr Leben…

Ester, Dichterin und Essayistin von Beruf, erhält eine Anfrage, bei einer Ausstellung einen Vortrag über Hugo Rask zu halten. Der Künstler selbst sitzt im Publikum, so kommen sie in Kontakt. Eine Beziehung entsteht, die geprägt ist von Faszination, Begehren und immer größerer Abhängigkeit. Ester will Hugo Rask nicht drängen, will dem Künstler keine Freiheiten rauben. Und verzehrt sich zugleich in der Sehnsucht nach einem Lebenszeichen von ihm. Er, der eitle Künstler, genießt die Bewunderung.

Stets dann, wenn sie Hoffnungen hat, es könne sich etwas Festes entwickeln, zieht er sich zurück. Und er nährt immer dann ihre Hoffnungen, wenn sie den Weg zur Vernunft zurückgefunden zu haben scheint. Manchmal will man als Leser glauben, er spiele ein Spiel mit ihr, grausam, eigennützig und schamlos. Dann wiederum scheint es so, als sei er ein Opfer der eigenen Selbstverliebtheit. Er will bewundert werden, doch Ester sucht die Diskussion. Sie will über seine Kunst philosophieren, streiten, sie hinterfragen. Sie ist intelligenter als er, zeigt seiner vorgeblichen Kongenialität Grenzen auf. Das fasziniert ihn und lässt ihn auf Distanz gehen.

Ein intelligenter und doch einfacher Roman von Lena Andersson

Faszinierend ist, dass Ester Nilsson sich und ihr Handeln sehr präzise analysieren kann. Sie ist vernünftig. Ebenso der Freundinnen-Chor, der ähnlich dem Chor im griechischen Drama räsoniert, mahnt und abwägt. Doch weder Chor noch ihre eigene Vernunft helfen ihr, wenn Hugo Rask wieder einmal mit einer beiläufigen Bemerkung einen Funken Hoffnung bei ihr entzündet. Und so beginnt eine Leidenszeit für Ester, aus der sie entkommen kann, aber nicht will, oder entkommen will, aber nicht kann. Man weiß es nicht. Und sie scheint es auch nicht zu wissen: „Inget mer fanns att förstå.“ („Es gab nichts mehr zu verstehen.“)

„Egenmäktigt förfarande“* – oder in der deutschen Übersetzung „Widerrechtliche Inbesitznahme“ – ist ein äußerst faszinierender Roman: intelligent, scharfsinnig, schwer und doch leicht zugleich. Die Sprache ist einfach, lakonisch, manchmal geradezu beiläufig, ehe man wieder einen Satz liest, den man mehrfach lesen muss, weil er so klug und klar ist.

Lena Andersson erhielt für ihren Roman im Jahr 2013 den begehrten August-Preis sowie den Literaturpreis des Svenska Dagbladet. Ein preisgekrönter Roman, dessen Lektüre ich jedem ans Herz lege – Lesern von Liebesromanen, aber ausdrücklich auch jenen Lesern, die eigentlich große Bögen um Bücher machen, deren Untertitel lautet: „en roman om kärlek“.

Egenmäktigt förfarande – en roman om kärlek*
Verlag: Natur & Kultur
Taschenbuch
€ 10,69

Widerrechtliche Inbesitznahme*
Verlag: btb
Taschenbuch
aus dem Schwedischen übersetzt von Gabriele Haefs
€ 9,99 [D]

Das Ringen Ester Nilssons um Liebe geht weiter in der freien Fortsetzung „Utan personligt ansvar“.

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